Bahnprivatisierung: Kommentar von Arno Luik (Stern)

Bahnchef Hartmut Mehdorn will 49 Prozent Bahn an Börse verhökern. Für mögliche Käufer, von Gasprom bis hin zu arabischen Investoren, wäre das ein Schnäppchen, für die Bürger ein Desaster. Demnächst entscheidet der Bundestag. Auszüge eines Plädoyers von Arno Luik aus dem „Stern“ (29.8.07)
Da ist etwas – je nach Schätzung – zwischen 100 und 200 Milliarden Euro wert. Knapp die Hälfte von diesem teuren Ding soll verkauft werden. Der Besitzer rechnet mit einem Verkaufspreis von vier bis acht Milliarden Euro. Und ist sehr, sehr glücklich. Verrückt? Nein, das ist hohe Politik, im konkreten Fall nennt man das: Privatisierung der Bahn.

Die Bahn wird verramscht

Die Bahn ist ein Goldschatz und zugleich das letzte, richtig große Stück Gemeineigentum in diesem Land. Sie ist der größte Grundbesitzer in Deutschland mit besten, fast unbezahlbaren Lagen in den Städten. Wenn man ein paar Gleise rausreißt und verkauft, was dann frei wird, rieselt das Geld: Unter den Gleisen liegt der Schotter. Privatisierung lautet das Zauberwort, mit dem dieser Goldschatz an Wenige verteilt werden soll – an der Börse. Für die künftigen Investoren wäre das ein Schnäppchen. Geht Bahnchef Hartmut Mehdorns Rechnung auf, bekommen die neuen Besitzer die Bahn fast geschenkt. Jenes wertvolle Stück Gemeineigentum, das Millionen von Steuerzahlern, fünf Generationen, geschaffen haben, soll verschleudert werden, verscherbelt. Erstaunlich, dass dieser Coup überhaupt möglich ist. Aber die allermeisten Abgeordneten nicken ab und schauen zu, wie der Konzern verramscht wird.

Es geht um Enteignung von Volkseigentum

Um die Bahn attraktiv für Käufer zu machen, rechnet Mehdorn die Bahn spottbillig. Der Konzern, den er an die Börse bringen will, ist in seinen Augen grotesk wenig wert: gerade mal 18 Milliarden Euro, das gesamte Unternehmen. Die Bahnhöfe, der Grundbesitz, das rollende Material, die bahneigenen Kraftwerke. 18 Milliarden Euro? Experten monieren, dass sowohl Anlagevermögen (Züge, Schienen, Bahnhöfe, Elektrizität) als auch Abschreibungen viel zu niedrig ausgewiesen seien.
Was in Sachen Bahn-Privatisierung abläuft, ist ein Irrsinn. In einer abenteuerlichen Konstruktion bleibt für 15 Jahre der Bund juristischer Eigentümer der Trassen und Bahnhöfe, aber die teilprivatisierte Bahn AG darf diese „betreiben und bilanzieren“, sie hat die wirtschaftliche Hoheit. Gewinne aus Immobilienverkäufen teilen sich dann der Bund und die neuen Eigentümer. Wer glaubt, dass es bei der Bahn-Privatisierung um den Kunden und seine Wünsche geht, ist naiv – es geht um Enteignung von Volkseigentum.

Das Volk hat durchaus etwas gegen dieses Vorgehen. Umfragen von Emnid und Forsa zeigen, dass zwei Drittel der Bürger keine Bahnprivatisierung wünschen. Die Bahn ist ein öffentliches Gut. Wie etwa die Polizei, die Schulen, die Schiffahrtsstraßen. Käme jemand auf die Idee, den Rhein zu privatisieren? Nein. Aber es ist faszinierend, wie konsequent die Privatisierer ihre Tat unter den Augen der Bundesbürger umsetzen. Kühl, lächelnd, stur, immun gegen Einwände.

Bahn ist nicht börsenfähig

Dabei ist die Bahn betriebswirtschaftlich, rein nach den Gesetzen des Kapitals, gar nicht börsenfähig. Wer das erklären will, muss Wörter benutzen, die schwierig sind, zu schwierig oft für Abgeordnete, die nach Beschlussvorlagen entscheiden müssen und nicht viel Zeit haben, sich einzuarbeiten. Kapitalumschlag. Betriebskapital. Dividendenrendite. Umsatzrendite. Börsenfähig ist ein Unternehmen, wenn es Kapitalrenditen über den Kapitalkosten, also etwa 10 Prozent Verzinsung des Betriebsvermögens, erzielt. Das investierte Kapital der Bahn ist aber derartig hoch, dass eine marktübliche Verzinsung unmöglich ist. Im Klartext: nicht börsenfähig.

Und wie sieht die Zukunft aus? Gewinne, die für Investoren interessant sind, macht nur, wer die Bahn wie einen Steinbruch ausbeutet. Also alles, was die Rendite gefährdet, abkoppelt – Züge auf die Schwäbische Alb, ins bayerische Hinterland, durchs weite Mecklenburg (es sei denn, die Länder subventionieren das kräftig). Längst hat man sich vom grundgesetzlichen Auftrag, die Bürger in der Fläche mit einem Transportmittel zu versorgen, verabschiedet.

Lässt sich der große Eisenbahnraub noch stoppen? Ja, klar. Zum Beispiel so: Mehdorn entlassen. Lässt sich die Privatisierung noch verhindern? Ja, natürlich. Noch ist sie kein Gesetz, noch ist sie nicht durch den Bundestag. In ihrer Fraktionsklausur am Freitag kommender Woche diskutieren die SPD-Genossen über den Gesetzentwurf. Die sind bisher, bis auf wenige Ausnahmen, für die Privatisierung. Vielleicht denken sie ja einmal nicht nur an die Parteiräson und folgen nicht brav ihren Chefs. Oder vielleicht stoppt Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz, weil es nationale Güter gibt, die man einfach nicht verkauft.

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