Sozial und Großbritannien kennen sich nicht

L1016250 - 2011-09-10 um 19-40-07
Creative Commons License Christian Baltrusch

Die britische Regierung kürzt den Sozialhaushalt und legt Sparpakete auf. Ganz so, wie es in anderen europäischen Ländern auch passiert. Und das, obwohl es auf der Insel weder Euro gibt, noch Druck von Außen gemacht wird. Dennoch wird unter anderem eine Schlafzimmersteuer eingeführt: Wer ein leeres Zimmer hat und in einer Sozialwohnung lebt, muss dafür nun mehr Geld abgeben.

Rund eine Million Haushalte sind betroffen, in zwei Dritteln davon lebt ein Mensch mit Behinderung. […] Die Sozialhilfe wird in den kommenden Jahren nicht mehr wie bisher um die Inflationsrate steigen, sondern um lediglich ein Prozent. Ausgenommen davon ist die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen. Diese Maßnahme betrifft 9,5 Millionen Familien. Sie spart dem Staat 505 Millionen Pfund im ersten Jahr und in drei Jahren nach Berechnungen der Regierung rund 2,3 Milliarden Pfund (Süddeutsche Zeitung 3.4.2013).

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Berliner Polizei will Wache privatisieren

Schafft sich der Staat selbst ab? Oder werden hier nur mit hohem bürokratischen Aufwand Sparbemühungen simuliert? Auf jeden Fall ist es wieder mal Thema in Berlin: Senator prüft Privatisierungen bei der Polizei und die Grünen warnen vor Privatisierungswelle. Zufall, dass gerade auch in Großbritannien Polizeiaufgaben privatisiert werden? Das Erwerbslosenforum ist dran an dem Thema.

Privatisierte Bahn teuerer denn je

Markversagen? Da lachen die Hühner. Erfolgreiche Umverteilung nach oben durch Privatisierung. Das trifft es wohl eher:

Geschätzte 2.000 Firmen sorgen derzeit dafür, dass die britische Bahn täglich Millionen Passagiere befördert. Der Fleckerlteppich ist zugleich ein Scherbenhaufen: Rund 16 Jahre nach der Privatisierung bleibt die Bahn ein Sorgenkind der Regierung. Sie ist sowohl für den Staat als auch für die Fahrgäste teurer denn je. Die Regierung Cameron will nun den nächsten Anlauf für Reformen nehmen. Vor der Privatisierung betrugen die staatlichen Kosten für die Bahn im Zeitraum 1992/93 mit 2,2 Milliarden Pfund ihren Höchstwert. Nach der Privatisierung blieben die Kosten mit ein bis zwei Milliarden etwa konstant – ab 2001 explodierten sie aber: 2006 waren es 6,3 Milliarden Pfund, im Vorjahr waren es vier. Hauptbestandteil sind direkte Zuschüsse an die Betreiber, dazu kommen Mittel aus der Regionalförderung. Weiterlesen

Aber Bangemachen gilt nicht. Zum Glück gibts ja noch Straßen und Autobahnen zum Privatisieren und die Post. Beides steht jetzt laut Premierminister Cameron an.

Lobby gegen PPP

Die European Services Strategy Unit („Europäische Dienstleistungs-Strategie-Einrichtung“) setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein. Dafür setzt sie auf ein qualitativ hochwertiges Angebot an öffentlichen Dienstleistungen, die durch demokratisch verantwortliche Körperschaften erbracht werden und dabei auf „gute Management-Praxis“, Arbeitsplätze, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit. Dabei handelt es sich um eine unabhängige, nicht-kommerzielle Organisation, die die Arbeit des Centre for Public Services fortführt, das 1973 gegründet wurde. Auf der Webseite gibt es – leider nur in englischer Sprache – Veröffentlichungen, eine PPP-Datenbank, ein Buch über Alternativen („Dexter Whitfield: Global Auction of Public Assets: Public sector alternatives to the infrastructure market & Public Private Partnerships“) und mehr.

30.000 Streikbrecher für die Privatisierung von Royal Mail

Margaret Thatcher, neoliberale Premierministerin in Großbritannin in den achtziger Jahren, privatisierte British Telecom, diverse Energieversorger und Rolls-Royce – nur Royal Mail tastete sie nicht an. Nun soll das Postunternehmen zumindest teilweise renoviert werden – und wie damals bei anderen Staatskonzernen gibt es erbitterten Widerstand der Gewerkschaften. Mit umfassenden Streiks wollen Gewerkschaften den Regierungsplänen begegnen. Das Management von Royal Mail geht nun auf Konfrontationskurs – Zehntausende Streikbrecher sollen den geplanten Arbeitskampf ausbremsen, meldet Spiegel online. Mehr Infos (unter anderem eine chronologische Darstellung des Privatisierungskonflikts) gibts in englischer Sprache im Dossier „Royal Mail Dispute“ der Communication Workers Union.

Zombiepolitik

Gordon Brown profiliert sich als Thatcherwiedergänger: er kündigte für die nächsten 2 Jahre Privatisierungen in Höhe von 16 Milliarden Pfund (17,2 Mrd €) an. Das wäre die größte Privatisierungsaktion seit Thatchers Zeiten. Er nannte die Hochgeschwindigkeitsverbindung zum Kanaltunnel, „High Speed 1“, die Themsebrücke und den Themsetunnel bei Dartford östlich von London. Außerdem sollen Studentenkredite verkauft werden, von denen die Regierung im vergangenen Jahr schon einen Block von sechs Mrd. abstoßen wollte, den 35-Prozent-Regierungsanteil an dem Uranaufbereiter Urenco und das Wett-Konsortium „Tote“, dessen Privatisierung seit 2001 im Wahlprogramm von Labour steht. „Wir wollen Besitzstände verkaufen, um die Schuldenfrage anzugehen“, sagte Brown. Nicht genannt wurden allerlei andere relevantere staatliche Assets wie die Post, einige Energie- und Wasserbetriebe, die Atomindustrie oder die BBC. Näheres stellte jüngst das marktradikale Adam Smith-Institut in einer Studie „Privatization – Reviving the Momentum“ (2009) zusammen.