Wie mit der „Ausländermaut“ die Autobahn privatisiert wird

Bild: Alexander Blum, wikipedia.de
Bild: Alexander Blum, wikipedia.de

Am 27. März wurde im Bundestag die PKW-Maut – unter der Bezeichnung „Ausländermaut“ bekannt – beschlossen. In der Bundestagsdebatte und in Anhörungen im Vorfeld ging es viel um EU-Konformität und wackelige Einnahmenschätzungen, und leider nur am Rande auch darüber, dass mit dem Projekt vor allem die Autobahnprivatisierung vorbereitet wird.

In der Bundestagsdebatte am 27.03.2015 bestätigte die Regierung nun auch selbst, dass man mit der Maut privatisieren will. So lobte Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, das Vorhaben nicht nur unbescheiden als Teil der „größten Modernisierungsoffensive der bundesdeutschen Geschichte“. Er sprach auch von der Maut im Zusammenhang mit „stärkerer Einbindung von privatem Kapital – ÖPP“ und versprach „Mittel aus öffentlich-privaten Partnerschaften“.

Mehr zu der Debatte, zu den Argumenten und zu dem Abstimmungsverhalten der Abgeordneten bei der Abstimmung über die Einführung der PKW-Maut ist hier zu lesen: http://www.gemeingut.org/wie-mit-der-auslaendermaut-die-autobahn-privatisiert-wird/

Öffentlich-private Partnerschaften: Kritik einfach „weggestimmt“

Bild: Jürgen Thierfelder
Bild: Jürgen Thierfelder

Am Freitag, dem 5.12., wurde im Bundestag in einer Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses das Thema Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP, auch Public Private Partnership, PPP) behandelt. Den Anlass dazu bot ein Gutachten des Bundesrechnungshofs vom Juni 2014. In diesem wurde nachgewiesen, dass die ÖPP-Variante für fünf von sechs damals untersuchten Autobahnen 1,9 Milliarden Euro Mehrkosten für SteuerzahlerInnen verursachen. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass die Kredite, die private Partner für diese Projekte aufgenommen haben, viel teurer sind als wenn die öffentliche Hand, also im Fall der Autobahnen der Bund, die Kredite selbst aufgenommen hätte. Diese Berechnungen wurden ein paar Wochen später vom Verband der Deutschen Bauindustrie kritisiert. Das verwundert aber nicht, denn Hochtief, Strabag oder Bilfinger Berger, die zu den größten Verbandsmitgliedern gehören, sind auch die wichtigsten Auftragnehmer bei ÖPP. Im Oktober erstellte dann auch das Bundesverkehrsministerium ein Gegengutachten, in dem es ÖPP, genauso wie der BDI, gegen die Kritik des Bundesrechnungshofes verteidigt. Zum Beispiel heißt es darin:

Die … vom Bundesrechnungshofs abgeleiteten Mehrkosten … werden weder durch die Realität gestützt … noch überzeugen sie methodisch.“ Weiterlesen

Hey Staat, hey Staat, hey Staat

vorhernachherWeil der Bund mehrere hundert Millionen nach Berlin schickt, zweckgebunden: nur zu verwenden für den Weiterbau der Bundesautobahn A100 mitten durch die Stadt, muss das Autobahnprojekt weitergetrieben werden. Koste es an Lebensqualität für die Leute an der kommenden Trasse, was es wolle (vgl. die Vorher-Nachher-Montagen der BUND-Infobroschüre). Der Bund macht über diesen Mechanismus Kommunalpolitik, weil die Regierenden in Berlin zu feige sind, die Annahme derart vergifteter Geschenke zu verweigern und zu phantasielos, politisch für eine Umwidmung dieser Berlinförderung zu kämpfen. Angesichts der Gewalt, mit der diese Autobahntrasse sich durch Wohnviertel, Gärten, Parks frisst, bleibt nicht viel als Kopfschütteln. Um so mehr Respekt zolle ich denen, die sich in einer Situation der Entrechtung und Entwürdigung organisieren und zu Protest aufraffen. Gärten und Wohnungen werden mit Sonderkündigungen geräumt, nicht einmal die üblichen Rechtschutzfristen sehen diese vor. Übelste Gutsherrenart, leidlich verschleiert durch die Politik- und Rechtsformen des 21. Jahrhunderts. Konkret berichtet das Stichwort „Beermannstr.“ über Menschen, die teils über Jahrzehnte in ihren Gärten an der S-Bahn Wurzeln geschlagen haben und jetzt vertrieben werden für eine Autobahn, die nur noch mehr automobilien Wahnsinn in die Innenstadt holen wird.

PPP-Debakel auf der A1

„Die A1 ist die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen Hamburg und Bremen. Zu den Dauerbaustellen beim sechsspurigen Ausbau der Autobahn kommen jetzt noch zahlreiche Löcher im neuen Asphalt. Und wie beim Pfusch beim U-Bahn-Bau in Köln und Düsseldorf taucht auch bei diesem Desaster der Name eines Mannheimer Baukonzerns auf: Bilfinger Berger. … Das Desaster wirft aber nicht nur einen Schatten auf den Baukonzern, sondern auch auf das bisher größte Gemeinschaftsprojekt von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft (Public Private Partnership) in der Bundesrepublik: Das Konsortium ‚A1-mobil‘ finanziert den Ausbau der 73 Kilometer langen Strecke sowie deren Betrieb und Erhaltung.“ Mehr lesen in der Wirtschaftswoche

Bericht vom Treffen der PPP-Privatisierungslobby in Weimar

In der vergangenen Woche fand in Weimar das 10. Betriebswirtschaftlichen Symposium Bau an der Bauhaus-Universität statt. Attac, ver.di und Transparency International hatten in diesem Jahr die Gelegenheit auf einer Podiumsdiskussion Pro-Kontra PPP im Rahmen der Konferenz ihre Kritikpunkte an diesem Modell der Privatisierung vorzutragen. Hier einkopiert ein Bericht der ebenfalls auf meinem Blog veröffentlicht ist:

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Neue private PPP-Autobahnen

Die Lkw-Maut sorgt für ein neues Geschäftsmodell: Private Unternehmen sollen Milliardenbeträge in deutsche Autobahnen stecken. Im Gegenzug erhalten sie Einnahmen aus der Straßengebühr für Lastwagen. Wer meint, beim Blick aufs Pflaster lässt sich kein Unterschied erkennen, ist blind für die verbauten sozialen Verhältnisse… Sechs Projekte sind in Planung, darunter die A 8 in Bayern und die A 9 in Thüringen. Mehr lesen
Dabei zieht Deutschlands zweitgrößter Baukonzern Bilfinger Berger gemeinsam mit Partnern den größten Auftrag zum Ausbau eines Streckenabschnitts der A1 ab. Das vom Land Niedersachen vergebene Projekt habe ein Investitionsvolumen von 650 Millionen Euro, teilte das Unternehmen mit. Damit handele es sich um das bislang größte öffentlich-private Partnerschaftsprojekt (PPP/Public Private Partnership) in Deutschland. Mehr lesen

Deutsche Bank Research praesentiert "Privatisierungsoptionen fuer das deutsche Autobahnnetz"

DBResearch schreibt in der Presseankündigung für ihr Papier: „Die geographische Lage Deutschlands im Herzen Europas bietet zahlreiche Chancen für auch zukünftiges wirtschaftliches Wachstum. Die gestiegene Bedeutung von Logistik und Verkehr für das Bruttoinlandsprodukt sind hierfür klare Zeichen. Jedoch wird nicht im gleichen Maße, wie das Verkehrsaufkommen steigt, in den Ausbau der Infrastruktur investiert – im Gegenteil: die Straßeninfrastruktur wird seit Jahren auf Verschleiß gefahren. Eine stärkere zweckgebundene Nutzerfinanzierung und die Einbindung privatwirtschaftlichen Know-hows bei Finanzierung und Betrieb der Straßeninfrastruktur ist mehr als angezeigt.“

Hessen fordert Privatisierung aller staatlicher Immobilien

Berlin (ddp) – Bund und Länder sollten nach Einschätzung von Hessens Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) alle Gebäude und Immobilien privatisieren. «Der Staat muss keine Immobilien besitzen, denn er ist kein guter Immobilienverwalter», sagte Weimar der «Berliner Zeitung» (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Ihm fehle die Spezialisierung, und seine Mittel für Unterhalt und Modernisierung würden durch die Haushaltslage bestimmt.
„Ein kleiner Schaden kann dann nach drei, vier Jahren zum großen Schaden werden und nach acht oder zehn Jahren zum Sanierungsfall. Das alles kostet am Ende unendlich viel Geld», sagte Weimar. Hessen gilt unter den Bundesländern als Vorreiter bei der Privatisierung öffentlichen Eigentums.
Weimar sprach sich auch dafür aus, dem Bund mehr Freiraum für den Verkauf von Straßen und Autobahnen einzuräumen. Er plädiere dafür, dass die Kfz-Steuer in Zukunft nicht mehr von den Ländern, sondern vom Bund erhoben werde. «Der hätte dann nämlich alle Instrumente in der Hand, um frei über die Einführung einer Pkw-Maut auf den Autobahnen entscheiden zu können», erklärte der hessische Finanzminister. Wenn man über die Privatisierung von Straßen rede, müsse man entscheiden, ob die Bürger über die Kfz-Steuer oder über individuelle Nutzungsentgelte für die Infrastruktur bezahlen sollten.
Im Tausch für die Kfz-Steuer sollten die Länder dann die Versicherungssteuer bekommen, sagte Weimar. «Diesen Plan hatte es schon einmal gegeben, er wurde aber leider nicht umgesetzt. Wir sollten das erneut angehen.»
Quelle: http://linkszeitung.de/content/view/9436/42/

Steinbrueck bereitet Autobahn-Privatisierung vor

Handelsblatt online berichtet von Privatisierungsplänen: „Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) lässt nach Informationen der „WirtschaftsWoche“ nun doch verschiedene Modelle zur Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes prüfen. Dadurch sollen die Einnahmen für den Bund erhöht werden.
Die Überlegungen reichten vom „Verkauf und anschließender Rückmietung“ (sale and rent back) über Beteiligungen an der Lkw-Maut bis zu privaten Betreibermodellen, berichtete das Blatt unter Berufung auf das Finanzministerium. Zur Konsolidierung des Bundeshaushalts für 2006 bis 2009 habe Steinbrück bereits über die von Amtsvorgänger Hans Eichel (SPD) eingeplanten Privatisierungserlöse von 38 Milliarden Euro hinaus jährlich weitere vier Milliarden durch „Mobilisierung von Beteiligungsvermögen“ einkalkuliert.
Diese zusätzlichen 16 Milliarden seien jedoch nicht mehr durch das so genannte Tafelsilber gedeckt. Dazu gehören neben verbliebenen Aktienpaketen an der Telekom auch ERP- Sondervermögen oder Forderungen gegen andere Länder. Das Statistische Bundesamt beziffert dem Blatt zufolge den aktuellen Wert des Autobahnnetzes auf gut 50 Milliarden. Das Beratungsunternehmen Prognos komme sogar auf 127 Milliarden Euro.“
Quelle: http://www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1160276

Autobahnen im Vergleich

Einen europaweiten Überblick über die verschiedenen Formen der Bereitstellung des Gutes „Autobahn-Mobilität“ liefert knapp und informativ das FAZ.net
Zur sich dahinter verbergenden Diskussion um die Privatisierung der Autobahnen ein methodisch angeleiteter „Urteilsbildungsprozess“ im pbnetz (ein Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung).

Kein oeffentliches Eigentum verhoekern!

Gegen Privatisierung von Bundesvermögen zur Sanierung des Haushalts.
Um den Bundeshaushalt auszugleichen, plant die Regierung, in den beiden kommenden Jahren Bundeseigentum in einem Wert von 40 Milliarden zu veräußern. Bis zum Jahr 2009 sollen es insgesamt 54 Milliarden werden. Verkauft werden soll unter anderem der Rest der Telekom-Aktien, die noch in Bundesbesitz sind, die Deutsche Bahn oder Abschnitte von Bundesautobahnen. Diskutiert wurde auch, wie die Welt am 26.11. schreibt, der Verkauf von Immobilien, so von Ministerien. Das sei aber wieder verworfen worden. (Vorhaben, Minister zu verkaufen, sind noch nicht gemeldet worden.)
Der Verkauf von öffentlichem Eigentum ist nicht der richtige Weg, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Der Staat braucht Sachvermögen, um seinen Aufgaben bei der Daseinsvorsorge oder der Preisregulierung nachzukommen. Zur Privatisierung gibt es Alternativen: Die Haushaltsdefizite sind durch höhere Steuereinnahmen zu beseitigen: Die Besteuerung der Gewinneinkommen und Vermögen muss wieder erhöht werden. Anzustreben ist der Stand von 1991. Denn würden die Gewinneinkommen wieder mit demselben effektiven Steuersatz belastet, wie dies Anfang der 90er Jahre der Fall war, dann hätte der Staat Mehreinahmen von rund 40 Milliarden Euro. Würden die hohen Vermögen und Erbschaften wieder angemessen besteuert, kämen je nach Ansatz weitere 15 Milliarden hinzu, und könnten die Bundesländer sich auf eine sorgfältigere Steuerpraxis verstehen, ließen sich viele zig Milliarden Steuerhinterziehung vermeiden.
Privatisierung widerspricht jeder vernünftigen Auffassung über geordnetes Wirtschaften. In der Privatwirtschaft schließlich gilt als Bankrotteur, wer mehr ausgibt als er einnimmt und dann gezwungen ist, einen großen Teil seines Vermögens zu verkaufen. Bevor der Bund Vermögen verkauft, ist doch wenigstens zu fragen, warum er so wenig eingenommen hat, obwohl doch seine Ausgaben nur sehr mäßig angestiegen sind. Der entscheidende Grund hierfür ist die anhaltend absinkende Besteuerung der Gewinne und Vermögen. Während der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen kräftig angestiegen ist und auch die Vermögen beträchtlich angewachsen sind, sind die Einnahmen des Staates aus Gewinn- und Vermögensbesteuerung von 1991 bis 2004 von 69 Mrd. Euro auf 67 Mrd. Euro gefallen. Die Massensteuern dagegen haben in demselben Zeitraum kräftig zugelegt. Sie sind von 236 Mrd. auf 317 Mrd. angestiegen.
Damit ist eines klar: Der Staat verzichtet zunehmend darauf, Gewinn und Vermögen zu besteuern. Um das Defizit nicht zu groß werden zu lassen, werden erstens sozialen Leistungen und die öffentlichen Personalausgaben gekürzt und zweitens die Massensteuern erhöht. Die geplante Mehrwertsteuererhöhung ab 2007 und die weiteren Kürzungen im sozialen Bereich setzen diese Strategie fort. Dennoch lassen sich die Defizite so nicht eindämmen: Denn wenn der Staat Gewinnbezieher und Vermögensbesitzer reichlich beschenkt, dann ist die Freude dort zwar groß, aber die gesamtwirtschaftlichen Folgen sind fatal: Die so liebevoll Bedachten geben nicht aus, was sie zusätzlich einnehmen. Folglich nehmen Nachfrage und Wachstum ab und konsequenterweise sind zusätzliche Steuereinnahmen nicht in Sicht. Auf der anderen Seite steigen die Ansprüche an den Staat, weil nun noch mehr Erwerbslose zu versorgen sind. Weitere Kürzungen beim Arbeitslosengeld I und II werden die Folge sein.
Das Ende vom Lied ist leicht zu erraten: Nachdem wegen der Steuergeschenke die Reichen reicher und der Staat ärmer geworden sind, verkauft der Staat nun sein Vermögen an dieselben Reichen. Zu betonen ist: Die Käufer bezahlen den Kaufpreis mit den Steuergeschenken, die sie vorher vom Staat reichlich bekommen haben. denn es sind diese Geschenke, die das Haushaltsdefizit verursacht haben.
Grundsätze gibt es offenbar nicht mehr, wenn es ums Bereichern geht. Es ist hier wichtig, an den Leitgedanken des Artikel 115 des Grundgesetzes zu erinnern, der festgelegt, dass der Staat nur soviel Kredit aufnehmen soll, wie er durch Investitionen seinem Sachvermögen dazufügt. Sein Nettovermögen soll sich bei Beachtung dieser Regel durch Kreditaufnahme nicht verringern. Für die gegenwärtige Situation eines sehr großen Ungleichgewichtes auf dem Arbeitsmarkt sieht unsere Verfassung sicherlich eine Ausnahme vor. Hier kann die Kreditaufnahme höher ausfallen als die öffentlichen Investitionen. (Eine Verfassungsklage dagegen wäre also reiner Unsinn.) Was uns hier aber interessieren muss, ist die Grundidee, wonach der Staat sein Nettovermögen eben nicht verringern soll. Das allerdings, der Geist der Verfassung, zählt nicht mehr, wenn es ums Geschäfte-Machen geht.
 
Dass sich unsere Verfassung von der Grundidee leiten lässt, das öffentliche Vermögen nicht zu verringern, hat einen tieferen Sinn: In sehr vielen Leistungsbereichen versagt die Privatwirtschaft. Marktversagen ist traditionell von den unterschiedlichen Richtungen der Wirtschaftswissenschaft anerkannt. Erst der Neoliberalismus redet von Staats- und Demokratieversagen. Wir aber brauchen staatliche Leistungen in vielen Bereichen, so im Gesundheits- und Verkehrswesen, in der Wasser- und Energieversorgung und in vielen Breichen mehr. Ohne öffentliches Eigentum kann es keine wirksame Daseinsvorsorge des Staates geben. Viele Länder, die die Privatisierung sehr vorangetrieben haben, sind nun wegen unzureichender Leistungen der Privatunternehmen gezwungen, die entsprechenden Bereiche wieder zu öffentlichem Eigentum zu machen. Wir können uns diesem Umweg ersparen, indem wir gleich aus den Erfahrungen mit der Privatisierung lernen.
[Verfasser: Herbert Schui. WASG-28.11.2005)

"Ohne Privatisierung der Autobahnen wird es nicht gehen"

Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel über den privaten Betrieb von Maut-Straßen, Brücken und Flughäfen. Der Präsident der deutschen Bauindustrie hat erste Anzeichen dafür, daß es in der Branche wieder aufwärts geht.

DIE WELT: Zunächst einige Fragen an den Präsidenten des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie: Die Baunachfrage in Deutschland ist im August um acht Prozent gestiegen. Ist die Bau-Krise vorbei?

Hans-Peter Keitel: Vorbei ist sie wohl noch nicht. Aber wir haben jetzt endlich die Talsohle im Blick. Wie schnell es wieder aufwärts geht, vermag ich noch nicht zu sagen. Aber von heute auf morgen sicher nicht: Wir befinden uns, um im Bild zu bleiben, eher in einer Art Tiefebene als in einem Canyon, hinter dem es steil bergauf geht.

DIE WELT: An den Rahmenbedingungen hat sich doch auch unter dem neuen Verbandspräsidenten Keitel wenig geändert – woher kommt Ihr Optimismus?

Keitel: Der Optimismus stützt sich auf nachprüfbare Fakten. Wir sollten das nicht überbewerten, aber auch nicht ignorieren. Die Auftragszahlen steigen schon im vierten Monat in Folge, die Erwartungen der Firmen sind besser als seit vielen Jahren. Auch das Konjunkturgutachten der Wirtschaftsweisen sieht günstigere Perspektiven für den Bau – etwa weil wieder Aufträge der Wirtschaft kommen.

DIE WELT: Bedeutet das, der Arbeitsplatzverlust kann gestoppt werden?

Keitel: Das ist zu hoffen. Die Branche hat seit 1995 rund die Hälfte der Stellen verloren, damit hat der strukturelle Arbeitsplatzabbau nahezu seine Grenze erreicht. In diesem Jahr werden wir aber noch weitere 40 000 bis 50 000 Stellen verlieren, 2006 sind es hoffentlich deutlich weniger.

DIE WELT: Hat die Pleite von Walter Bau dem überbesetzten Markt Entlastung gebracht?

Keitel: Nein. Bei komplexen Projekten mag es jetzt statt fünf nur noch vier Angebote geben. Aber insgesamt hat sich – wie schon zuvor bei der Insolvenz von Philipp Holzmann – am Markt wenig verändert. Die Kapazitäten kehren unter anderer Führung größtenteils auf den Markt zurück. Für uns alle bedeutender ist die negative Auswirkung auf den Ruf der Branche.

DIE WELT: Nach vielen Jahren vergeblicher Bemühungen der Bauindustrie setzt sich jetzt wenigstens die private Finanzierung öffentlicher Baumaßnahmen, die Private Public Partnership (PPP), immer mehr durch.

Keitel: Der Durchbruch ist endlich geschafft. Die Kommunen, die Länder und der Bund verlieren die anfängliche Skepsis, je mehr Projekte umgesetzt werden. Das hilft der gesamten Branche, den Großen wie den Kleinen. Was jetzt bei Schulen oder Kindergärten funktioniert, muß angesichts der leeren Kassen aber auch für die Autobahnen geprüft werden: Ohne eine Privatisierung wird es nicht gehen.

DIE WELT: Was könnte das für Hochtief bedeuten?

Keitel: Wir managen solche Projekte seit Jahren im Ausland. Deshalb wissen wir, daß Privatisierung keine Sache der nächsten ein oder zwei Jahre ist, sondern die Beschreibung eines möglichen Endzustandes. Es ist aber nicht damit getan, daß der Autofahrer eine Vignette kauft und ein paar Baukonzerne eine dritte Spur an die Autobahn bauen oder die eine oder andere Lücke im Netz schließen. Es geht darum, das gesamte Verkehrssystem vollkommen neu zu ordnen und auch Verkehrsträger wie die Bahn einzubeziehen.

DIE WELT: Eine Art Vorbild sind für Hochtief die Flughafen-Privatisierungen, in die Sie sehr früh eingestiegen sind. Hat sich der Mut gelohnt?

Keitel: Auf jeden Fall. Wir waren Early Mover, jetzt sind wir einer der wenigen ganz großen privaten Flughafenbetreiber der Welt. Und während viele andere dieses Geschäft gerade erst entdecken, erreichen wir in diesem Jahr erstmals schwarze Zahlen – drei Jahre früher als geplant.

DIE WELT: Wie das?

Keitel: Alle unsere Flughäfen haben sich besser entwickelt als erwartet. Wir arbeiten mit einem schlanken Team und haben Einnahmequellen erschlossen, mit denen wir vor zehn Jahren nicht gerechnet haben: etwa Honorare aus der Beratung von Flughafen-Betreibern und Transaktionen.

DIE WELT: Mit Verlaub – nach außen wirkt die Geschäftspolitik etwas sprunghaft. Sie kaufen Flughafen-Anteile, dann verkaufen Sie wenige Monate später wieder Teile davon, ziehen den Großteil Ihres Kapitals ab und kündigen weitere Übernahmen an…

Keitel: Das mag für Außenstehende so wirken, hängt aber mit der Geschichte zusammen. Als wir vor mehr als zehn Jahren begannen, gab es dieses Geschäftsfeld praktisch noch gar nicht – und auch keine Banken, die dafür Geld in großem Umfang geben wollten. Also mußten wir mit eigenen Mitteln die Investitionen stemmen. So sind wir bei Athen, Düsseldorf und Hamburg eingestiegen. In Sydney kamen wir schon mit geringeren Eigenmitteln aus und konnten einen Teil nach kurzer Zeit zu einem sehr lukrativen Preis weiterverkaufen. Inzwischen haben Finanzinvestoren die Chancen des Marktes erkannt. Jetzt ist es deutlich leichter, an günstiges Fremdkapital heranzukommen. Also haben wir in diesem Frühjahr Anteile in eine Partnerschaft mit Investoren eingebracht. Dabei managen wir die Flughäfen gegen Gebühr weiterhin, können aber das zurückgewonnene Eigenkapital auch in anderen Konzernsparten nutzen, etwa PPP und Facility Management. An unserem Geschäftsmodell ändert das gar nichts, nur an der Finanzierung.

DIE WELT: Terroranschläge oder Krankheiten sorgen immer wieder für Rückschläge in der Reisebranche. Holen Sie sich nicht zusätzliches Risiko ins Haus?

Keitel: Die Erfahrung der vergangenen 20 Jahre zeigt, daß sich die Passagierzahlen nach jedem Einbruch durch solche Ereignisse immer schnell wieder erholen und letztlich über dem Ausgangspunkt liegen. Davon profitieren wir als Flughafenbetreiber. Zudem haben unsere Airports einen hohen Anteil an Business-Passagieren, die gegen diese Schwankungen unempfindlicher sind als das reine Touristen-Geschäft.

DIE WELT: Ihr letzter Deal war der „Mutter Teresa“-Airport in Tirana. Was ist daran spannend?

Keitel: Zum einen das hohe Wachstumspotential. Zum anderen: In Tirana verdienen wir seit dem ersten Tag Geld. Das ist uns wichtiger als eine kleine Beteiligung an einem bekannten Flughafen, die nichts bringt.

DIE WELT: Sie wollen pro Jahr eine oder zwei Beteiligungen zukaufen. Ist Budapest die nächste?

Keitel: Da sind wir einer von fünf Bietern. Budapest ist der erste große Airport in Mitteleuropa, der zur Privatisierung ansteht. Derzeit fliegen dort sechs Millionen Passagiere pro Jahr ab, Tendenz stark steigend. Das ist sehr interessant. Jedenfalls dann, wenn die Ausschreibungs-Bedingungen so bleiben, wie sie sind.

DIE WELT: Anders als im indischen Mumbai, wo Sie kurz vor Schluß ausgestiegen sind?

Keitel: Da hat der Verkäufer plötzlich die Bedingungen geändert. Die Risiken sollen größtenteils auf die Erwerber abgewälzt, die Erträge aber vorher abgeschöpft werden. Das ist unseriös und von daher für uns uninteressant.

DIE WELT: Welche Airports haben Sie noch auf Ihrer Liste?

Keitel: Asien insgesamt, Indien, die Philippinen oder Thailand sind sehr interessante Regionen. Der Nahe Osten ebenfalls – dort fehlt es nicht an Geld zur Finanzierung, sondern an Know-how. Rußland beobachten wir ebenfalls.

DIE WELT: Und in Deutschland – etwa in München, wo mittelfristig ja eine Privatisierung denkbar ist?

Keitel: Schwierig. Ein Investor müßte wohl einen üppigen Schuldendienst übernehmen.DIE WELT: Haben Sie das Thema Berlin endgültig abgehakt?

Keitel: Jeder weiß, daß der aktuelle Zustand in Berlin auf Dauer nicht zu halten ist. Ich sage ganz deutlich: Wir sind nach dem geplatzten Privatisierungsverfahren nicht im Bösen auseinandergegangen, das Tischtuch ist nicht zerschnitten.

DIE WELT: Wenn es eine neue Privatisierung geben sollte, werden Sie sich wieder bewerben?

Keitel: Die Frage ist hypothetisch – ausschließen würde ich es nicht. Übrigens nicht nur bei einer Privatisierung: Wenn Schönefeld als öffentliches Bauprojekt ausgeschrieben wird, würde Hochtief ein Angebot abgeben. Wir sind ja schließlich auch noch ein Bau- unternehmen.

DIE WELT: Und zwar eines, bei dem es vor einigen Wochen Gerüchte über eine geplante Übernahme gab. Ist Ihre neue Aktionärsstruktur mit mehr als 70 Prozent Streubesitz, auf die Sie so stolz sind, nicht gefährlich?

Keitel: Wir haben nach dem Rückzug von RWE als Mehrheitsaktionär einen sehr gesunden Eigentümer-Mix. Ohne Zweifel sind auch eher kurzfristig orientierte Anleger dabei wie Hedge-Fonds. Aber bestimmend sind die Aktionäre mit langfristigen Interessen – und die kaufen eher zu, als daß sie Hochtief-Aktien abgeben. Sie wissen, daß ein Baukonzern keine Maschine ist, die jeder an- und abstellen kann. Hochtief besteht nicht aus Produktionsstätten, sondern aus Menschen, Baustellen und auch Garantien, die wir unseren Kunden gegeben haben. Ein solches Gebilde eignet sich nicht für eine feindliche Übernahme.

DIE WELT: Aber Ihr Airport-Portfolio ist interessant…

Keitel: Unsere Flughafenbeteiligungen sind Partnerschaften mit der öffentlichen Hand und Regelungen im öffentlichen Interesse, kein Handelsobjekt. Nicht umsonst hat die Strukturierung unserer Airport-Partnerschaft für nur ein Drittel der Beteiligungen über ein Jahr gedauert.

DIE WELT: Noch einmal ins Ausland: Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt zu – schafft das neue Risken für Ihre Baustellen in den USA oder in Asien?

Keitel: Selbstverständlich könnten Wirbelstürme oder Flutwellen zum Problem werden. Bisher allerdings wurden wir weitgehend verschont. Wir gehen das Thema seit neuestem sehr offensiv an, indem wir eine Arbeitsgemeinschaft Katastrophen-Prävention gebildet haben. Dort fassen wir in einer Art Fallschirmtruppe unsere Experten zusammen, die sich etwa mit Wind- oder Wasserthemen besonders gut auskennen. Diese Erfahrung und Kompetenz wollen wir im Bedarfsfall rasch einbringen können.

DIE WELT: Wird das ein neues Geschäftsfeld?

Keitel: Unser Ziel ist es, sehr schnell Konzepte zu entwickeln und den öffentlichen Stellen anzubieten. Damit ließe sich beispielsweise New Orleans besser vor Flutwellen schützen.
Das Gespräch führte Hagen Seidel
Die Welt 1. November 2005