Huerden fuer Privatisierung "EU-rechtlich bedenklich"

Rechtsprofessor stützt Sparkassenpläne in Hessen
ste Frankfurt – Die hessische Landesregierung findet mit ihren Plänen, die Bildung und Übertragung von Stammkapital bei Sparkassen zuzulassen, Beistand von Rechtsgelehrten. Es sei EU-rechtlich bedenklich, wenn eine Kommune – wie im vergangenen Jahr Stralsund – die Absicht habe zu privatisieren, die Rechtsstruktur der Sparkasse sie aber daran hindere, sagt Christoph Schalast, der seit 2002 an der HfB – Business School of Finance and Management Rechtswissenschaften lehrt, im Interview der Börsen-Zeitung. Deutschland stehe innerhalb der Europäischen Union (EU) mit den Trägerstrukturen bei Sparkassen isoliert da. Erfahrungen in anderen EU-Staaten zeigten, dass eine maßvolle Deregulierung und Liberalisierung des Sparkassensektors möglich seien, ohne dass die flächendeckende Versorgung mit Bankprodukten verloren gehe.
Für die hessischen Sparkassen lehnte unterdessen die Nassauische Sparkasse (Naspa) die geplante Stammkapitaloption ab. „Ich höre keine Argumente, die mich überzeugen“, sagte der Chef der mit einer Bilanzsumme von 17 Mrd. Euro viertgrößten deutschen Sparkasse, Jens Fischer.
– Interview Seite 5
– Bericht Seite 5
Börsen-Zeitung, Banken und Finanzen – Ausgabe Nr. 239 vom 10. Dezember 2005 >>> http://www.boersen-zeitung.com/online/redaktion/aktuell/bz239015.htm

Sparkassen-Privatisierungs-News aus Hessen

Die Frankfurter Rundschau berichtet:
„Das wollen wir nicht“. Sparkassen-Novelle in der Kritik
Frankfurt a.M. · Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), das Land Thüringen und die Nassauische Sparkasse äußern Kritik an den Plänen der hessischen Landesregierung, der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) aus Wettbewerbsgründen den Kauf weiterer Sparkassen zu ermöglichen.
„Das ist nicht die richtige Antwort“, sagte DSGV-Präsident Dietrich Hoppenstedt zu dem Gesetzentwurf der Regierung. Die öffentlich-rechtliche Finanzgruppe könne in ihrer jetzigen Struktur das Privatkundengeschäft erfolgreich betreiben – mit dezentralen Sparkassen und Landesbanken, die sich um Firmenkundengeschäft und Investmentbanking kümmerten.Der Erfolg im Privatkundengeschäft hänge nicht von der Institutsgröße ab, ergänzte er. Der Sparkassen-Präsident warnte davor, die Gruppe schwächen oder gar auflösen zu wollen. Eine Änderung der Sparkassengesetze in den Ländern zur Bildung von Stammkapital wäre ein erster Schritt um die jetzt kommunal verankerten Sparkassen handelbar und damit verkäuflich zu machen. „Das wollen wir nicht. Wir wollen treuhänderische Träger und keine Eigentümer“, sagte er.
Das Land Thüringen kündigte Widerstand gegen das Vorhaben seines Nachbarn an. Thüringen ist an der Helaba mit fünf Prozent beteiligt, Hessen mit zehn Prozent. Die restlichen Anteile liegen beim Sparkassenverband beider Länder. „Thüringen sieht durch den hessischen Vorstoß die Interessen seiner Sparkassen berührt“, sagte ein Sprecher des Erfurter Finanzministeriums.
Die Nassauische Sparkasse sieht die Gefahr, dass die Landesregierung mit der Gesetzes-Novelle entgegen ihrer erklärten Absicht ein „Einfallstor für Private“ schafft. Ihr stellvertretendes Vorstandsmitglied Bertram Theilacker sagte, es sei nicht auszuschließen, dass die Geschäftsbanken bei der EU-Kommission mit Erfolg eine Wettbewerbsverzerrung monieren würden, falls das Gesetz den Verkauf einer Sparkasse auf Schwesterinstitute beschränkt. Medienberichte, wonach der private Bankenverband bereits über eine Klage nachdenke, bezeichnete der Sprecher des Verbandes als „reine Spekulation“. sal/rtr“
FR vom 17.11.2005

Globalisierung von Finanzdienstleistungen

Politische Kämpfe, Erfahrungen und Alternativen Internationale Konferenz vom 2. bis 4. Dezember 2005 im Gustav Stresemann Institut in Bonn.
Finanzdienstleistungen sind das Nervensystem der Wirtschaft. Ihrer weiteren Liberalisierung kommt eine Schlüsselstellung in der neoliberalen Globalisierung zu. Es wird geschätzt, dass die jährlichen Erträge aus dem Handel mit Finanzdienstleistungen von aktuell 2 Bio. US-Dollar auf 6 Bio. US-Dollar im Jahr 2020 steigen. Die höchsten Wachstumsraten werden in Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien, Mexiko oder Russland erwartet.
Vor allem die USA und die EU haben ein großes Interesse daran, neue Märkte für ihre Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften zu erschließen. Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) wird daher auf die weitere
Liberalisierung des Handels mit Finanzdienstleistungen gedrängt. Doch profitieren auch Entwicklungs- und Schwellenländer von dem Handel mit Finanzdienstleistungen? Welche Auswirkungen hat eine Liberalisierung für Beschäftigte, Konsumenten und die lokale Wirtschaft? Wem nützt eine Privatisierung der Alterversorgung und welche Erfahrungen wurden mit Rentenreformen in anderen Ländern gemacht? Wie müssen Finanzmärkte gestaltet sein, um wirksam Armut bekämpfen und einen nachhaltigen Entwicklungsprozess unterstützen zu können?
Diese Fragen sind Gegenstand der von WEED organisierten dreitägigen internationalen Konferenz, die aus vier inhaltlichen Teilen besteht:
1) Erzwungene Liberalisierung? Erfahrungen aus Entwicklungsländern
2) Chancen und Risiken der Liberalisierung von Finanzdienstleistungen
3) Privatisierung der Rente: Erfahrungen und Perspektiven
4) Alternativen: Lassen Sie ihr Geld für Entwicklung arbeiten – aber wie?
Eingeladen sind ReferentInnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika, MitarbeiterInnen von internationalen Organisationen und Ministerien sowie VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik, Vereinen und Verbänden, Gewerkschaften, Privatwirtschaft und Medien. Diskussionsrunden und Workshops bieten die Gelegenheit zum kontroversen Meinungsaustausch, zur Vertiefung von Kenntnissen sowie zur Erarbeitung von Alternativen.
Die Konferenz beginnt am Freitag, den 2. Dezember, um 14:00 Uhr und endet am Sonntag, den 4. Dezember, um13:00 Uhr. Die Teilnahmegebühr beträgt 40 Euro (mit Übernachtung) bzw. 10 Euro (ohne Übernachtung). Bitte melden Sie sich so bald wie möglich, spätestens jedoch bis 24.11.05 an. Entweder per Fax oder E-mail mit dem beigefügten Formular an: Bodo Ellmers, bodo.ellmers@weed-online.org, Fax. 030/275 96 928, oder online bei www.financeconference.org/anmeldung
Nähere Informationen zur Konferenz finden Sie unter http://www.financeconference.org

"Ohne Privatisierung der Autobahnen wird es nicht gehen"

Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel über den privaten Betrieb von Maut-Straßen, Brücken und Flughäfen. Der Präsident der deutschen Bauindustrie hat erste Anzeichen dafür, daß es in der Branche wieder aufwärts geht.

DIE WELT: Zunächst einige Fragen an den Präsidenten des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie: Die Baunachfrage in Deutschland ist im August um acht Prozent gestiegen. Ist die Bau-Krise vorbei?

Hans-Peter Keitel: Vorbei ist sie wohl noch nicht. Aber wir haben jetzt endlich die Talsohle im Blick. Wie schnell es wieder aufwärts geht, vermag ich noch nicht zu sagen. Aber von heute auf morgen sicher nicht: Wir befinden uns, um im Bild zu bleiben, eher in einer Art Tiefebene als in einem Canyon, hinter dem es steil bergauf geht.

DIE WELT: An den Rahmenbedingungen hat sich doch auch unter dem neuen Verbandspräsidenten Keitel wenig geändert – woher kommt Ihr Optimismus?

Keitel: Der Optimismus stützt sich auf nachprüfbare Fakten. Wir sollten das nicht überbewerten, aber auch nicht ignorieren. Die Auftragszahlen steigen schon im vierten Monat in Folge, die Erwartungen der Firmen sind besser als seit vielen Jahren. Auch das Konjunkturgutachten der Wirtschaftsweisen sieht günstigere Perspektiven für den Bau – etwa weil wieder Aufträge der Wirtschaft kommen.

DIE WELT: Bedeutet das, der Arbeitsplatzverlust kann gestoppt werden?

Keitel: Das ist zu hoffen. Die Branche hat seit 1995 rund die Hälfte der Stellen verloren, damit hat der strukturelle Arbeitsplatzabbau nahezu seine Grenze erreicht. In diesem Jahr werden wir aber noch weitere 40 000 bis 50 000 Stellen verlieren, 2006 sind es hoffentlich deutlich weniger.

DIE WELT: Hat die Pleite von Walter Bau dem überbesetzten Markt Entlastung gebracht?

Keitel: Nein. Bei komplexen Projekten mag es jetzt statt fünf nur noch vier Angebote geben. Aber insgesamt hat sich – wie schon zuvor bei der Insolvenz von Philipp Holzmann – am Markt wenig verändert. Die Kapazitäten kehren unter anderer Führung größtenteils auf den Markt zurück. Für uns alle bedeutender ist die negative Auswirkung auf den Ruf der Branche.

DIE WELT: Nach vielen Jahren vergeblicher Bemühungen der Bauindustrie setzt sich jetzt wenigstens die private Finanzierung öffentlicher Baumaßnahmen, die Private Public Partnership (PPP), immer mehr durch.

Keitel: Der Durchbruch ist endlich geschafft. Die Kommunen, die Länder und der Bund verlieren die anfängliche Skepsis, je mehr Projekte umgesetzt werden. Das hilft der gesamten Branche, den Großen wie den Kleinen. Was jetzt bei Schulen oder Kindergärten funktioniert, muß angesichts der leeren Kassen aber auch für die Autobahnen geprüft werden: Ohne eine Privatisierung wird es nicht gehen.

DIE WELT: Was könnte das für Hochtief bedeuten?

Keitel: Wir managen solche Projekte seit Jahren im Ausland. Deshalb wissen wir, daß Privatisierung keine Sache der nächsten ein oder zwei Jahre ist, sondern die Beschreibung eines möglichen Endzustandes. Es ist aber nicht damit getan, daß der Autofahrer eine Vignette kauft und ein paar Baukonzerne eine dritte Spur an die Autobahn bauen oder die eine oder andere Lücke im Netz schließen. Es geht darum, das gesamte Verkehrssystem vollkommen neu zu ordnen und auch Verkehrsträger wie die Bahn einzubeziehen.

DIE WELT: Eine Art Vorbild sind für Hochtief die Flughafen-Privatisierungen, in die Sie sehr früh eingestiegen sind. Hat sich der Mut gelohnt?

Keitel: Auf jeden Fall. Wir waren Early Mover, jetzt sind wir einer der wenigen ganz großen privaten Flughafenbetreiber der Welt. Und während viele andere dieses Geschäft gerade erst entdecken, erreichen wir in diesem Jahr erstmals schwarze Zahlen – drei Jahre früher als geplant.

DIE WELT: Wie das?

Keitel: Alle unsere Flughäfen haben sich besser entwickelt als erwartet. Wir arbeiten mit einem schlanken Team und haben Einnahmequellen erschlossen, mit denen wir vor zehn Jahren nicht gerechnet haben: etwa Honorare aus der Beratung von Flughafen-Betreibern und Transaktionen.

DIE WELT: Mit Verlaub – nach außen wirkt die Geschäftspolitik etwas sprunghaft. Sie kaufen Flughafen-Anteile, dann verkaufen Sie wenige Monate später wieder Teile davon, ziehen den Großteil Ihres Kapitals ab und kündigen weitere Übernahmen an…

Keitel: Das mag für Außenstehende so wirken, hängt aber mit der Geschichte zusammen. Als wir vor mehr als zehn Jahren begannen, gab es dieses Geschäftsfeld praktisch noch gar nicht – und auch keine Banken, die dafür Geld in großem Umfang geben wollten. Also mußten wir mit eigenen Mitteln die Investitionen stemmen. So sind wir bei Athen, Düsseldorf und Hamburg eingestiegen. In Sydney kamen wir schon mit geringeren Eigenmitteln aus und konnten einen Teil nach kurzer Zeit zu einem sehr lukrativen Preis weiterverkaufen. Inzwischen haben Finanzinvestoren die Chancen des Marktes erkannt. Jetzt ist es deutlich leichter, an günstiges Fremdkapital heranzukommen. Also haben wir in diesem Frühjahr Anteile in eine Partnerschaft mit Investoren eingebracht. Dabei managen wir die Flughäfen gegen Gebühr weiterhin, können aber das zurückgewonnene Eigenkapital auch in anderen Konzernsparten nutzen, etwa PPP und Facility Management. An unserem Geschäftsmodell ändert das gar nichts, nur an der Finanzierung.

DIE WELT: Terroranschläge oder Krankheiten sorgen immer wieder für Rückschläge in der Reisebranche. Holen Sie sich nicht zusätzliches Risiko ins Haus?

Keitel: Die Erfahrung der vergangenen 20 Jahre zeigt, daß sich die Passagierzahlen nach jedem Einbruch durch solche Ereignisse immer schnell wieder erholen und letztlich über dem Ausgangspunkt liegen. Davon profitieren wir als Flughafenbetreiber. Zudem haben unsere Airports einen hohen Anteil an Business-Passagieren, die gegen diese Schwankungen unempfindlicher sind als das reine Touristen-Geschäft.

DIE WELT: Ihr letzter Deal war der „Mutter Teresa“-Airport in Tirana. Was ist daran spannend?

Keitel: Zum einen das hohe Wachstumspotential. Zum anderen: In Tirana verdienen wir seit dem ersten Tag Geld. Das ist uns wichtiger als eine kleine Beteiligung an einem bekannten Flughafen, die nichts bringt.

DIE WELT: Sie wollen pro Jahr eine oder zwei Beteiligungen zukaufen. Ist Budapest die nächste?

Keitel: Da sind wir einer von fünf Bietern. Budapest ist der erste große Airport in Mitteleuropa, der zur Privatisierung ansteht. Derzeit fliegen dort sechs Millionen Passagiere pro Jahr ab, Tendenz stark steigend. Das ist sehr interessant. Jedenfalls dann, wenn die Ausschreibungs-Bedingungen so bleiben, wie sie sind.

DIE WELT: Anders als im indischen Mumbai, wo Sie kurz vor Schluß ausgestiegen sind?

Keitel: Da hat der Verkäufer plötzlich die Bedingungen geändert. Die Risiken sollen größtenteils auf die Erwerber abgewälzt, die Erträge aber vorher abgeschöpft werden. Das ist unseriös und von daher für uns uninteressant.

DIE WELT: Welche Airports haben Sie noch auf Ihrer Liste?

Keitel: Asien insgesamt, Indien, die Philippinen oder Thailand sind sehr interessante Regionen. Der Nahe Osten ebenfalls – dort fehlt es nicht an Geld zur Finanzierung, sondern an Know-how. Rußland beobachten wir ebenfalls.

DIE WELT: Und in Deutschland – etwa in München, wo mittelfristig ja eine Privatisierung denkbar ist?

Keitel: Schwierig. Ein Investor müßte wohl einen üppigen Schuldendienst übernehmen.DIE WELT: Haben Sie das Thema Berlin endgültig abgehakt?

Keitel: Jeder weiß, daß der aktuelle Zustand in Berlin auf Dauer nicht zu halten ist. Ich sage ganz deutlich: Wir sind nach dem geplatzten Privatisierungsverfahren nicht im Bösen auseinandergegangen, das Tischtuch ist nicht zerschnitten.

DIE WELT: Wenn es eine neue Privatisierung geben sollte, werden Sie sich wieder bewerben?

Keitel: Die Frage ist hypothetisch – ausschließen würde ich es nicht. Übrigens nicht nur bei einer Privatisierung: Wenn Schönefeld als öffentliches Bauprojekt ausgeschrieben wird, würde Hochtief ein Angebot abgeben. Wir sind ja schließlich auch noch ein Bau- unternehmen.

DIE WELT: Und zwar eines, bei dem es vor einigen Wochen Gerüchte über eine geplante Übernahme gab. Ist Ihre neue Aktionärsstruktur mit mehr als 70 Prozent Streubesitz, auf die Sie so stolz sind, nicht gefährlich?

Keitel: Wir haben nach dem Rückzug von RWE als Mehrheitsaktionär einen sehr gesunden Eigentümer-Mix. Ohne Zweifel sind auch eher kurzfristig orientierte Anleger dabei wie Hedge-Fonds. Aber bestimmend sind die Aktionäre mit langfristigen Interessen – und die kaufen eher zu, als daß sie Hochtief-Aktien abgeben. Sie wissen, daß ein Baukonzern keine Maschine ist, die jeder an- und abstellen kann. Hochtief besteht nicht aus Produktionsstätten, sondern aus Menschen, Baustellen und auch Garantien, die wir unseren Kunden gegeben haben. Ein solches Gebilde eignet sich nicht für eine feindliche Übernahme.

DIE WELT: Aber Ihr Airport-Portfolio ist interessant…

Keitel: Unsere Flughafenbeteiligungen sind Partnerschaften mit der öffentlichen Hand und Regelungen im öffentlichen Interesse, kein Handelsobjekt. Nicht umsonst hat die Strukturierung unserer Airport-Partnerschaft für nur ein Drittel der Beteiligungen über ein Jahr gedauert.

DIE WELT: Noch einmal ins Ausland: Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt zu – schafft das neue Risken für Ihre Baustellen in den USA oder in Asien?

Keitel: Selbstverständlich könnten Wirbelstürme oder Flutwellen zum Problem werden. Bisher allerdings wurden wir weitgehend verschont. Wir gehen das Thema seit neuestem sehr offensiv an, indem wir eine Arbeitsgemeinschaft Katastrophen-Prävention gebildet haben. Dort fassen wir in einer Art Fallschirmtruppe unsere Experten zusammen, die sich etwa mit Wind- oder Wasserthemen besonders gut auskennen. Diese Erfahrung und Kompetenz wollen wir im Bedarfsfall rasch einbringen können.

DIE WELT: Wird das ein neues Geschäftsfeld?

Keitel: Unser Ziel ist es, sehr schnell Konzepte zu entwickeln und den öffentlichen Stellen anzubieten. Damit ließe sich beispielsweise New Orleans besser vor Flutwellen schützen.
Das Gespräch führte Hagen Seidel
Die Welt 1. November 2005

Bei BCR-Privatisierung gibt es eventuell mehr als 2 Finalisten

BUKAREST (Dow Jones)–Rumänien wird im Rahmen der Schlussverhandlungen zur Privatisierung der Banca Comerciala Romana SA anders als zunächst angekündigt mehr als zwei Finalisten zulassen. Es könnte drei Bieter im Rahmen der Auktion geben, sagte eine Sprecherin der für die Privatisierung zuständigen staatlichen Agentur am Montag. Sofern die Bewertung der eingereichten Gebote kurzfristig abgeschlossen werde, könnten bereits am morgigen Dienstag die Finalisten genannt werden.
Sieben Auslandsbanken hatten in der vergangenen Woche Gebote für den zur Privatisierung anstehenden BCR-Anteil von 61,88% abgegeben. Neben der Deutschen Bank und der Ersten Bank der österreichischen Sparkassen handelt es sich um die italienische Banca Intesa SpA, die französische BNP Paribas SA, die belgische Dexia SA, die portugiesische Banco Comercial Portugues SA und National Bank of Greece SA.
Nach Angaben der Regierung wird zu 90% der gebotene Preis über die Vorauswahl entscheiden. Die BCR ist eine der letzten großen Einstiegsmöglichkeiten auf dem rumänischen Markt.
Quelle: >>> http://www.faz.net/d/invest/meldung.aspx?id=54201598&news=unt

Konzerne hoffen auf Auto-Maut

Ein Ausverkauf der Autobahnen ist nicht wahrscheinlich. Doch an der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur durch private Investoren führt kaum ein Weg vorbei
Ausgerechnet jetzt, dachte Friedrich Steiger, als er im Radio die Debatte über die Autobahnprivatisierung hörte, die der designierte Finanzminister Peer Steinbrück vorige Woche entfachte, nachdem sie bereits schon von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ins Spiel gebracht worden war. Die Nachricht erreichte den Vorstandsvorsitzenden des Verbands Unabhängig Beratender Ingenieure und Consultants (VUBIC) auf der A8 bei Stuttgart – auf dem Weg in den Italienurlaub. „Mein erster Gedanke war: umkehren“, sagt Steiger, dessen Verband seit Monaten die Vorteile eines privaten Autobahnnetzes predigt und sogar schon ein Modell dazu entwickelt hat.
Steiger entschied sich gegen das Umkehren und für Italien, so daß er die Diskussion nun im Heilbadeort Montegrotto Terme verfolgt und zuweilen am Hoteltelefon Interviews gibt. Was die Öffentlichkeit jetzt hitzig diskutiert, hat sein Verband längst kühl durchgerechnet. In seinem Modell geht er von 100 Milliarden Euro Verkaufserlös für die Autobahnen aus und schlägt eine Auto-Maut von vier Cent pro Kilometer vor, bei gleichzeitiger Absenkung der Mineralölsteuer um 30 Cent. Ob ein solches Modell Realität wird, ist allerdings fraglich. Eine Vollprivatisierung komme nicht in Frage, sagen Experten. Der Staat könne sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen, da an den Autobahnen gesamtwirtschaftliches Interesse hänge. Trotzdem ist es an der Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrsfinanzierung. Drängende Investitionen kann der klamme Bundeshaushalt schwer bewältigen. An einer Beteiligung privater Investoren wird ebenso wie an der Auto-Maut kaum ein Weg vorbeiführen.
Bis zu 127 Milliarden Euro könnte der Staat einnehmen, wenn die deutschen Autobahnen unter den Hammer kämen. Auf diese Höhe hat zumindest das Beratungsunternehmen Prognos den Wert des 12 000 Kilometer langen Autobahnnetzes geschätzt. Obwohl die Studie nie dazu gedacht war, den Ausverkauf der Autobahnen anzugehen, weckt das Ergebnis Begehrlichkeiten. Bei einem öffentlichen Haushaltsminus von 1400 Milliarden Euro könnte der Erlös den Schuldenabbau ein gutes Stück voranbringen und außerdem eine Maßnahme sein, möglichst schnell die Maastricht-Kriterien wieder zu erfüllen.
Auf diese Weise würde die Schuldenlast, die auf jeden Steuerzahler kommt, deutlich sinken. Das entkräftet auch das Argument, die Steuerzahler würden um die von ihnen finanzierte Autobahn betrogen und müßten am Ende doppelt zahlen. „In dem Moment, in dem der Bund die Autobahnen verkauft, fließt das Geld zurück in die Staatskasse und wird dem Steuerzahler wieder gutgeschrieben. Denn der Staat sind ja eigentlich wir“, sagt Steiger.
Dennoch scheint die Rechnung des VUBIC so einfach nicht aufzugehen. Nicht nur weil der Vorstoß gegen eine Mauer des Widerstands prallt. Selbst wenn sich die Gegner überzeugen ließen, wäre eine vollständige Privatisierung ohne weiteres gar nicht möglich. „Die Autobahn stellt ein Objekt der Daseinsvorsorge dar“, sagt Verkehrswissenschaftsprofessor Herbert Baum der Universität Köln. Daher kann sich der Staat wohl nicht komplett aus der Verantwortung zurückziehen. „Es gibt bestimmte verfassungsrechtliche Anforderungen, die den Staat verpflichten, Verkehrswege zur Verfügung zu stellen“, sagt Friedrich Ludwig Hausmann, Partner der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und Experte für Infrastruktur-Privatisierungen.
In keinem Land der Welt wurde das gesamte Autobahnnetz an private Eigentümer verkauft. Das hat gute Gründe. Vor allem spielen „gesamtwirtschaftliche Erwägungen“ eine Rolle, wie Hans Mayrzedt erklärt. Der Professor für Bau- und Immobilienwirtschaft an der Fachhochschule Biberach sagt: „Eine Autobahn kann man nicht wie eine Fabrik oder ein Stück Brot verkaufen.“ Schließlich sei sie als Teil der Infrastruktur kein normales Gut. Autobahnen erfüllen volkswirtschaftliche Funktionen. Sie dienen sowohl dem Güter- als auch Privatverkehr, entscheiden über die Standortqualität und haben dadurch Auswirkungen auf die Beschäftigung.
Ein reines öffentliches Gut sind sie trotzdem nicht. In diese Kategorie fallen nur solche Güter, bei denen es nicht möglich ist, jemanden vom Konsum auszuschließen, und die ein privater Anbieter deswegen nicht bereitstellen kann. Wegen der Mauttechnik greift dieses Kriterium bei den Autobahnen jedoch nicht. „Mit der Technologie ist es heute möglich, jemanden von der Nutzung auszuschließen, der nicht bezahlt“, sagt Mayrzedt.
Gegen private Betreiber ist daher nichts einzuwenden. Anstatt aber das ganze Autobahnnetz aus Geldnot zu verscherbeln, könnte der Staat befristete Konzessionen an private Betreiber verkaufen, schlägt Mayrzedt vor. Denkbar sei ein Zeitraum von 30 Jahren.
Uwe Kunert, Verkehrsexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält eine Versteigerung nach dem Vorbild der UMTS-Lizenzvergabe für ein mögliches Verfahren. Ein ähnliches Konzessionssystem hat Frankreich bereits in den 1970er Jahren eingeführt. Was im Nachbarland auf breite Akzeptanz stößt, stößt hierzulande bei der Autofahrerlobby auf Widerstand. Würde der Staat die Betreiberrechte an Private vergeben, käme damit wahrscheinlich die Auto-Maut durch die Hintertür.
Für einzelne Strecken zahlen müssen Autofahrer bislang nur bei einzelnen Sonderbauten, wie dem Warnow-Tunnel in Rostock. Viele Experten halten die Finanzierung über eine Auto-Maut für das bessere System. „Zweckgebundene Nutzerbeiträge ermöglichen nachfragegerechte Reinvestitionen“, sagt DIW-Experte Kunert. Die Kraftfahrzeug- oder Mineralölsteuer sei viel zu ungenau. Denn was im großen Steuertopf landet, fließt längst nicht allein in den Straßenbau.
„Im allgemeinen Bundeshaushalt gibt es enorme Verteilungskämpfe“, sagt Bremens Verkehrssenator Jens Eckhoff. Für den Ausbau der Infrastruktur sei die Stimmung schlecht. Das hat Folgen, meint Mayrzedt: „Wir verdrängen Investitionen, und das ist der Grund, warum wir unsere Autobahn abwirtschaften.“ Würde ein privater Betreiber eine Auto-Maut kassieren, wären Investitionen in die Straßen gesichert.
Nötig hätte die Infrastruktur das allemal. Deutschland ist das Transitland Nummer eins in Europa. Durch die Osterweiterung dürfte der Verkehr sogar noch weiter zunehmen. Es geht aber nicht nur darum, stark befahrene Autobahnen auszubauen oder Netzteile besser zu verknüpfen. Allein für die Erhaltung muß die öffentliche Hand jedes Jahr mehrere Milliarden Euro hinblättern. „In Zukunft werden Reinvestitionen den größten Teil der Verkehrsausgaben fressen“, sagt DIW-Experte Kunert. Das ahnen auch Verkehrspolitiker wie der Bremer Senator: „Wir brauchen mehr Geld“, sagt Eckhoff, „aber dieses Geld sehe ich nicht in den politischen Haushalten.“
Um voreilige Schritte später nicht zu bereuen, sollte der Bund bei der Vergabe von Betreiberkonzessionen allerdings Weitsicht walten lassen, mahnt DIW-Verkehrsexperte Kunert. „Er muß dafür sorgen, daß Netzteile mit geringer Auslastung genauso einen Markt finden, wie die Filetstücke, auf denen großer Betrieb herrscht“, sagt Kunert und schlägt vor, Verbundskonzessionen zu vergeben. Schwächer genutzte Autobahnstücke könnten dann durch besser ausgelastete Abschnitte quersubventioniert werden.
Nach Investoren für Partnerschaftsprojekte müßte der Bund nicht lange suchen. Investitionen in die Infrastruktur gelten als interessant, da sie einen „stabilen Cash Flow“ versprechen, wie Joachim Spill, Private-Equity-Experte bei Ernst&Young erklärt. „Es gibt einige Private-Equity-Häuser und Banken, die sich so etwas durchaus vorstellen könnten“, sagt er. Gesellschaften wie etwa Terra, Blackstone oder Fortress kämen in Betracht. Anwalt Hausmann von Freshfields Bruckhaus Deringer weiß, daß die Märkte gespannt sind: „Eine ganze Menge Finanzinvestoren und Bauunternehmen warten nur darauf, daß auf diesem Markt hier mehr geschieht.“ Claudia Wüstenhagen
Quelle: Welt am Sonntag, 23. Oktober 2005

kurz erklaert IV: Privatisierung

……im Wörterbuch der Sozialpolitik, geschrieben von Alessandro Pelizzari (Attac Schweiz): Unter Privatisierung im engeren Sinne wird die Verlagerung von bestimmten bisher staatlichen Aktivitäten in den privaten Sektor der Volkswirtschaft verstanden, um die Allokation der Ressourcen durch den (als effizienter eingestuften) Markt erfolgen zu lassen. Im weiteren Sinne bedeutet Privatisierung die gesellschaftliche Tendenz der „Vermarktwirtschaftlichung“ sämtlicher Produktionsbedingungen des Akkumulationsprozesses: der allgemeinen (staatliche Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen), der persönlichen (soziale Reproduktion) und der externen (natürliche Umwelt). Diese Bedingungen werden sukzessive den Verwertungsinteressen des privaten Kapitals unterworfen.
Der engere Begriff der Privatisierung kann in drei Varianten unterteilt werden (vgl. Zeuner 1999):
– Als Staatskapitalprivatisierung (auch: materielle Privatisierung) wird die Veräußerung von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen (beispielsweise staatliche Automobilindustrie, Banken, Stahlwerke usw.) bezeichnet, die sich in Staatsbesitz befinden. Die öffentliche Hand zieht sich vollständig aus der Leistungserbringung zurück und überträgt die Aufgabe auf den privaten Bereich.
– Mit Aufgabenprivatisierung (auch: Liberalisierung) sind Reformen im Bereich der Infrastruktur gemeint. Vormals öffentliche Aufgaben in Monopolbereichen (z.B. Post, Telekommunikation, Bahn, Wasserwirtschaft) werden nun von profitwirtschaftlichen Trägern übernommen und in Konkurrenz zur öffentlichen Hand angeboten.
– Die Organisationsprivatisierung bezeichnet schließlich Ökonomisierungsstrategien, welche die öffentlichen Dienste im engeren Sinn sowie die klassischen „hoheitlichen“ Kernbereiche staatlicher Tätigkeit betreffen. Betriebswirtschaftliche Normen und privatwirtschaftliche Arbeitsverhältnisse werden eingeführt, ohne dass sich an den Eigentumsverhältnissen etwas ändert.
In der wissenschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl oft kontroverser Argumente für die Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Im politischen Diskurs bilden vor dem Hintergrund der Finanznot der öffentlichen Kassen fiskalische Überlegungen das zentrale Element. Einig sind sich hingegen die Experten, dass sich durch Privatisierungen der Charakter der Aufgabenerfüllung erheblich verändert. Tatsächlich sind die Betriebe nunmehr rechtlich dazu verpflichtet, in Konkurrenz zu neuen Anbietern den Profit zu mehren, also Preise anzuheben, unrentable Angebote, die sozial aber erwünscht sein können, zu streichen, dem Unternehmen Konkurrenznachteile, die durch Einhaltung gemeinwohlorientierter Vorgaben entstehen könnten, zu ersparen usw. Dies führt im Extremfall zur gänzlichen Abschaffung von Dienstleistungen, die bei Bedarf nur noch durch das Angebot des Marktes erfüllt werden.
Dass durch Privatisierungen ganze Bevölkerungsteile, die über wenig Kaufkraft verfügen, von grundlegenden Bedürfnissen ausgeschlossen werden, ist nur eine Seite der Privatisierungspolitik. Die andere ist, dass durch die Auslagerung von Staatsaufgaben ein neues Staatsmodell entsteht, welches grundsätzlich auf der Wegnahme öffentlicher und parlamentarischer Kontrolle beruht. In der Tat gehört zu den auffälligsten Zügen der jetzigen Entwicklungen die enorme Konzentration von Macht und Ressourcen in den Händen transnationaler Unternehmen. Einige besonders expansive Konzerne haben sich gar darauf spezialisiert, ihr Wachstum auf die Übernahme öffentlicher Dienste zu gründen.
http://www.socialinfo.ch/cgi-bin/dicopossode/show.cfm?id=477

"Die Maerkte warten nur darauf" – Baukonzerne und Finanziers aus dem In- und Ausland wollen Autobahnen uebernehmen

Düsseldorf/Berlin – Die Einschläge kommen näher für Deutschlands Pkw-Fahrer: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage diskutiert das politische Berlin jetzt die Einführung einer Pkw-Maut beziehungsweise eine Autobahn-Privatisierung. In der vergangenen Woche hatten die Landesverkehrsminister das Maut-Projekt noch abgelehnt. Am Wochenende nun erklärte der designierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), er müsse die Autobahnprivatisierung „prüfen, ich bin noch nicht festgelegt“. Noch, so scheint es, will keiner raus mit der Wahrheit. Und doch werden sich die deutschen Autofahrer mittelfristig wohl von ihren rein steuerfinanzierten Schnellwegen verabschieden müssen – genau so, wie das viele westeuropäische Nachbarn längst getan haben.
Zum einen fehlt dem Staat das Geld für die Instandhaltung und den Ausbau des Autobahnnetzes. Zum anderen könnte der Verkauf des nach Expertenschätzungen 127 Mrd. Euro wertvollen Netzes die Staatsschulden und damit auch die Zinszahlungen erheblich drücken – um bis zu sechs Mrd. Euro jährlich, heißt es. Interessenten, die die Straßen kaufen, sanieren oder erweitern und per Maut refinanzieren wollen, gibt es reichlich, vor allem aus der Bauindustrie und der Finanzbranche. „Die Märkte im In- und Ausland warten nur darauf“, meint Friedrich Ludwig Hausmann, Partner der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die sich seit Jahren mit Infrastruktur-Privatisierung beschäftigt.
Welcher klamme Finanzminister kann da lange widerstehen? Sozialdemokrat Peer Steinbrück jedenfalls ist aus seiner Zeit als Kassenwart in den Landeskabinetten in Kiel und Düsseldorf sowie später als NRW-Ministerpräsident als jemand bekannt, der keine Berührungsängste mit der Privatwirtschaft hat.
Neben den deutschen Groß- und Landesbanken kämen ausländische Finanzkonzerne wie Barclays, BNP Paribas oder Goldman Sachs in Frage, auch Infrastrukturspezialisten wie die Royal Bank of Scotland oder die Royal Bank of Canada oder die umtriebige australische Mcacquarie-Bank, die bereits an der privat finanzierten Warnow-Querung bei Rostock beteiligt ist. Auch internationale Fonds zeigen Interesse – schließlich verspricht das „Transitland“ Deutschland verläßliche Einnahmen. Bisher dürfen freilich offene Immobilienfonds nur in sehr beschränktem Ausmaß in die Finanzierung solcher Projekte einsteigen.
Die Bauindustrie wünscht sich seit langem einen Umschwung in der Infrastruktur-Politik: Hochtief, Bilfinger Berger oder Strabag – alle würden ihre Maut-Erfahrungen aus dem Ausland (Nordamerika, Australien, Asien) nur zu gern auf dem Heimmarkt einsetzen und wären wohl bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen. „Die Einführung einer Maut müßte aber mit einer Absegnung der Kfz- und Mineralölsteuer einhergehen“, sagen Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel und Herbert Bodner, Vorstandsvorsitzender von Bilfinger Berger, unisono. Die Baukonzerne versprechen sich Milliardengeschäfte mit jahrelang weitgehend gesichertem Cash Flow aus fließendem – selbst aus stehendem – Verkehr.
Zumindest in der Bauphase könnten auch Tausende kleinere und mittlere Zulieferunternehmen von den Aufträgen für die Großen profitieren: Patrick Adenauer jedenfalls, Präsident der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmen (ASU), jubiliert: „Eine Privatisierung der Autobahnen würde einen gewaltige Investitions-, Wachstums- und Beschäftigungsschub auslösen“.
Seit wenigen Jahren sind in Deutschland solche Projekte im Hochbau möglich, etwa für die Sanierung und den baulichen Betrieb von Schulen oder Gefängnissen: Der Bereich zählt zu den Wachstumssparten der Bauindustrie. Würde das Modell auf Autobahnen übertragen, stünden auch ausländische Bewerber am Start, etwa die französischen Baukonzerne Vinci und Eiffage. Vinci hält bereits 23 Prozent am Autobahnbetreiber Autoroutes du Sud (ASF) und ist unter anderem mit „Teerbau“ im deutschen Straßenbau vertreten. Sowohl Vinci und Eiffage haben jetzt für die drei Autobahnen in Frankreich geboten, die komplett privatisiert werden sollen. Auch Cofiroute könnte Interesse haben: Die Gesellschaft ist Mitglied im Konsortium von Toll Collect, das die deutsche LKW-Maut eintreibt.
Aus Italien könnten die Benettons mit ihrer expansionsfreudigen Autobahngesellschaft Autostrade ins Geschäft drängen. „Ein Unternehmen wie Autostrade ist immer aufmerksam, wenn sich etwas im Ausland tut“, so CEO Vito Gamberale. Der mit 3408 Streckenkilometern größte europäische Autobahnbetreiber „Autostrade per l’Italia Spa“ bietet mit einem italienisch-französischen Konsortium bereits für die Autobahn Paris-Rhones.
Beim Bieter-Wettstreit in Frankreich sind auch Spanier vertreten. Die Baugruppe Sacyr Vallehermoso wird unter anderem die Brücke über die Meeresenge von Messina bauen. „Wir suchen überall Chancen“, so ein Sprecher von Albertis, das in Spanien 1500 Kilometer Mautstrecken betreibt. Dazu käme die zum Baukonzern Ferrovial gehörende Cintra, die 16 Autobahnen weltweit betreibt.
Wie der Umstieg vom staatlichen auf ein privates Autobahnnetz konkret ablaufen könnte, ist noch unklar. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie arbeitet seit Monaten an einem konkreten Vorschlag. Anfang November soll das Papier fertig sein. In den Konzernen ist zu hören, daß die Vergabe einzelner Strecken wirtschaftlich wenig Sinn macht. Um das Risiko besser zu streuen und eine Mischkalkulation von teuren und billigeren Strecken zu ermöglichen, favorisieren viele in der Branche die Vergabe größerer Netze an einen Betreiber oder ein Betreiberkonsortium. Möglicherweise einschließlich der Bundesstraßen – um mögliche Ausweichrouten dicht machen zu können.
Wahrscheinlich würde der Systemwechsel schrittweise erfolgen, von einzelnen Strecken hin zu Netzen. Dabei dürften als erstes an den am stärksten befahrenen Strecken Maut-Häuschen oder -Brücken aufgestellt werden: auf Teilen der A1 in NRW, an der A3 rund um Frankfurt und die A8 bei München. Der gefürchtete Alb-Aufstieg der A8 wird bereits als sogenanntes privatisiertes „F-Modell“ geplant, als Maut-Insellösung. Bisher gibt es zwei derartige Projekte in Deutschland: die Warnow-Querung und den Herrentunnel in Lübeck.
„Die Autobahn-Privatisierung muß gar nicht zwangsläufig die Einführung einer Pkw-Maut zur Folge haben“, meint Jurist Hausmann. Nach britischem Vorbild wäre eine „Schattenmaut“ vorstellbar: Der private Investor, der ein Stück Autobahn gekauft oder für 25 Jahre gepachtet hat, bekommt vom Staat für jedes registrierte Auto eine Gebühr, die wie bisher aus Steuern finanziert wird. Der Autofahrer bräuchte weder Kleingeld noch Maut-Vignette. Hausmann:“Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein solches System, bei dem der Staat die Straßen behält, die dann ein Privater betreibt, sind verhältnismäßig leicht zu schaffen.“
Hagen Seidel in: Die Welt, 18.10.2005
Mitarbeit: Ute Müller, Karsten Seibel, Barbara Wörmann, Gesche Wüpper

IWF: Postreform koennte Japan Schub verleihen

Nach dem japanischen Unterhaus hat auch das Oberhaus das lange umstrittene Gesetz zur Privatisierung der Post verabschiedet. Der IWF meint, das könnte der zweitstärksten Volkswirtschaft der Welt Auftrieb geben.
Nach dem Unterhaus stimmte am Freitag (14.10.2005) auch das Oberhaus dem Herzstück der Wirtschaftsreformen von Ministerpräsident Junichiro Koizumi zu. In der zweiten Parlamentskammer stimmten 134 Abgeordnete für, 100 gegen die Vorlage. Das Oberhaus hatte im August noch gegen das Reformvorhaben gestimmt. Daraufhin löste Koizumi das Parlament auf und errang bei den Neuwahlen einen großen Wahlsieg.

Größter Finanzdienstleister
Die Post ist mit 25.000 Postämtern, 280.000 Vollzeit- sowie 120.000 Teilzeitbeschäftigten das größte Staatsunternehmen in Japan und der größte Arbeitgeber nach dem Militär. Mit Anlagebeständen von umgerechnet knapp drei Billionen Euro (mehr als 380 Billionen Yen) ist sie zugleich der mit Abstand größte Finanzdienstleister der Welt. Mehr als die Hälfte der japanischen Privathaushalte haben Einlagen bei der Post, 60 Prozent besitzen eine Post-Lebensversicherung. Im Unterschied zu einer normalen Bank oder Lebensversicherung legt Japans Post die ihr anvertrauten Anlagen jedoch überwiegend in Staatsschuldbriefen und Anleihen für öffentliche Unternehmen des Straßen- und Wohnungsbaus an. In Japan hat man sich daher daran gewöhnt, die Postfinanzen als den zweiten Haushalt der Regierung zu betrachten.
„Mit der Verabschiedung des Post-Reformpaketes ist in Japan endlich der Weg für eine umfassende Restrukturierung der öffentlichen Finanzen frei“, sagte Martin Schulz, Ökonom beim Fujitsu Research Institute in Tokio der Nachrichtenagentur dpa. „Als strategischer Schritt macht die Privatisierung Sinn, weil das Postbanksystem im Zentrum des staatlichen Unternehmenssektors liegt.“

Politischen Einfluss beschneiden
Koizumi will zum einen mit der Privatisierung die Post der Kontrolle der Politiker entziehen und zum anderen den Wettbewerb in der Finanz- und Logistikindustrie intensivieren. Die Privatisierung soll ab 2007 stufenweise erfolgen. Die Geschäftsbereiche sollen in vier unabhängige Einheiten aufgeteilt und unter eine zunächst vom Staat kontrollierte Holding gestellt werden. Bis 2017 sollen die Anteile am Bank- sowie zwei Drittel der Anteile am Brief- und Filialgeschäft verkauft werden.
Die eingeleiteten Wirtschaftsreformen haben nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) das Potenzial, der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft zusätzlichen Schub zu verleihen. Die Privatisierung der Post sei wichtig und weitere Reformen seien zu erwarten. Das sagte der für Asien zuständige IWF-Direktor David Burton am Freitag in einem Reuters-Interview vor der Herbsttagung von IWF und Weltbank in Washington. Der Fonds gehe davon aus, dass Japan weitere Reformen und Liberalisierungen seiner Produkt- und Arbeitsmärkte sowie des Handels umsetze. „Das kann nur das Wachstum Japans, das bereits jetzt recht gut ist, stärken. Ich denke die wirtschaftliche Expansion steht auf einer soliden Basis“, sagte Burton.

Augen auf Koizumis Nachfolger
Viel hängt nun von der konkreten Ausgestaltung der Reform ab. Denn unter Japans Privatbanken geht zugleich die Furcht um, dass ihr neuer Konkurrent mit seinem riesigen Filialnetz für einige den Untergang bedeuten könnte. Probleme bereitet zudem die Frage, wie der notwendige Abbau von Arbeitsplätzen vollzogen werden soll. Da Koizumi im September 2006 aus dem Amt scheidet, hängen der Start und die Umsetzung der Reformen ohnehin vom Geschick seines Nachfolgers ab. (mas)
Quelle: >>> http://www.dw-world.de/dw/article/0,1564,1741314,00.html

Operation ohne Narkose. Nach Krankenhaeusern sollen nun auch Universitaetskliniken privatisiert werden

Auf den Hügeln am Rande der traditionsreichen Universitätsstadt Marburg ist man stolz. Weit verzweigt liegt dort das Universitätsklinikum mit seinen Bauten, viele davon neu: die Medizinische Bibliothek, das Biomedizinische Forschungsgebäude und das Mutter-Kind-Zentrum. Es hat mehrere hundert Millionen Euro gekostet, all das fertig zu stellen, die Einrichtungen machen Fakultät und Uniklinik zu einem der modernsten medizinischen Zentren Deutschlands. Doch die Zukunft der Klinik ist indes ungewiss; bei Ärzten und Pflegepersonal geht die Angst um.
Ende 2004 beschloss der hessische Landtag mit der Mehrheit der alleinregierenden CDU, das Klinikum mit der Uniklinik Gießen zu fusionieren und beide zum 1. Januar 2006 zu veräußern. Es wäre die erste Vollprivatisierung einer deutschen Uniklinik und ein revolutionärer Schritt im deutschen Gesundheitswesen. Ein Schritt aber, der viele Arbeitsplätze und die erfolgreiche Grundlagenforschung an beiden Kliniken gefährdet.
Seit Jahren ist die Privatisierung von Kliniken der öffentlichen Hand ein boomendes Geschäft. Vielen Ländern und Kommunen fehlt das Geld für Investitionen in Gebäude oder neue Technologien. Der Verkauf von Kliniken erscheint ihnen als Ausweg, die kostenintensiven Krankenhäuser und die Verantwortung loszuwerden. Der Anteil privater Kliniken stieg in den vergangenen zehn Jahren von etwa 15 auf 25 Prozent. Prognosen zufolge könnte er 2015 bei 40 bis 50 Prozent liegen.
Halten Privatanbieter bislang vor allem kleine Kliniken, so streben sie in jüngster Zeit immer stärker nach der Übernahme großer Häuser – bis hin zu so genannten Maximalversorgern, die das ganze medizinische Spektrum abdecken. Bestes Beispiel dafür ist die Anfang 2005 beschlossene Übernahme des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) in Hamburg durch die Asklepios-Kette. Zum Zeitpunkt des Kaufs kam der LBK, eines der größten medizinischen Zentren Europas, mit rund 12000 Mitarbeitern auf einen Jahresumsatz von 800 Millionen Euro. Nun rücken auch Universitätskliniken, die zu den größten in der deutschen Krankenhauslandschaft gehören, ins Visier privater Ketten.
»Für uns wäre es sehr lukrativ, ein Universitätsklinikum zu erwerben«, sagt Bernhard Broermann, Gründer und Alleingesellschafter von Asklepios. »Neben der Nähe zu Lehre und Forschung ließen sich damit bestehende Lücken in unserem Krankenhausnetz schließen.« Auch andere Klinikketten sind interessiert. So beteiligten sich an der Ausschreibung für Gießen-Marburg alle maßgeblichen Anbieter: die Rhön-Klinikum AG, die Helios Kliniken und die Sana Kliniken (siehe Kasten).
Hessens Ministerpräsident Roland Koch ist sich mit Blick auf seine Pläne »sicher, dass wir damit mehr Wachstum für den Medizinstandort Hessen hervorrufen als mit jeder anderen Lösung«. Für ihn handelt es sich beim Fall Gießen-Marburg um ein »Leuchtturmprojekt«. Die Umsetzung der Pläne geriete zum Präzedenzfall. Auch andere Bundesländer prüfen den Verkauf ihrer Universitätskliniken. Bisher hat man sich dort aber stets für die abgefederte Variante einer Privatisierung in öffentlicher Hand entschieden: Dabei wird die betreffende Einrichtung rechtlich in ein privatwirtschaftliches Unternehmen umgewandelt, was ihr erlaubt, sehr viel eigenständiger zu wirtschaften und zum Beispiel auch Kredite aufzunehmen – Eigentümer aber bleibt der Staat.

Die Kliniken finanzieren ihren eigenen Verkauf – und der Staat bürgt
Unikliniken zu unterhalten ist teuer. Sie sind groß und meist besser ausgestattet als andere Krankenhäuser. Vor allem aber sind sie Stätten von Forschung und Lehre – das kostet. Zwar werden die laufenden Ausgaben von den Krankenkassen getragen. Seit Einführung der Fallpauschalen aber, mit denen feste Sätze pro Krankheitsbild statt wie früher pro Liegetag gezahlt werden, fließt immer weniger Geld in die Kassen. Unikliniken trifft dies besonders hart, denn die Ausbildung von Ärzten am Patienten erfordert Zeit – und die will niemand mehr bezahlen. Ganz zu schweigen von den nötigen Investitionen in immer neue Geräte und in Gebäude.
Rund 80 Prozent der bundesweit 35 Unikliniken machten 2004 Verlust. »Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen«, prognostiziert der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Karl Einhäupl. Das Klinikum Marburg, das stets schwarze Zahlen erwirtschaftet hat, zählt zu den großen Ausnahmen. Gießen hingegen weist jährlich einen Verlust von mindestens fünf Millionen Euro aus und hat in den vergangenen Jahren einen Investitionsstau von mindestens 200 Millionen Euro angehäuft. Einen Stau, den das Land Hessen nicht auflösen kann. »Die Kassen sind leer«, erklärt der zuständige Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Joachim-Felix Leonhard. »Uns fehlt schlicht das Geld, diese Lücken zu schließen.« Von einem Käufer aus der Wirtschaft verspricht sich die Regierung Koch ein strafferes Management und positive Impulse auch für Forschung und Lehre. »Ein privater Betreiber kann schnell Investitionen vornehmen, für die uns aufgrund der Haushaltslage die Hände gebunden sind«, sagt Leonhard.
Der geplante Verkauf könnte jedoch zum Bumerang werden: Mit 347 Millionen Euro hat der Bund die Kliniken Gießen und Marburg im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes (HBFG) bisher gefördert, und ein guter Teil davon müsste nach einem Verkauf wohl zurückgezahlt werden – laut HBFG darf der Bund private Betreiber nicht unterstützen. »Ein nicht näher zu bestimmendes Kostenrisiko«, urteilt Ulrich Kasparick, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium. Hessen dürfte daran interessiert sein, zumindest die Rückforderungen des Bundes durch den Verkaufserlös zu decken.
Dies führt zum nächsten Problem: Je höher der Kaufpreis, desto größer dürfte die finanzielle Belastung für die Unikliniken sein. Erfahrungsgemäß lassen die gewinnorientierten Ketten das Krankenhaus selbst Kredite zur Finanzierung des Kaufpreises aufnehmen, um das eigene Risiko zu minimieren. So habe Asklepios beim Kauf von 74,9 Prozent der Anteile des LBK Hamburg von den rund 320 Millionen Euro Kaufpreis nur 19,2 Millionen Euro direkt bezahlt, sagt Ulrich Kestermann, Finanzexperte und im Verkaufsprozess Berater der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des LBK. Ein großer Teil der Restsumme finanziere sich über Kredite, die die neu gegründete Krankenhaus GmbH belasteten und für die auch die Stadt Hamburg als Verkäufer bürge.
Asklepios-Chef Broermann sieht in einer solchen Finanzierungsstruktur keine Belastung. »Fremdfinanzierungen von zwei Drittel des Kaufpreises sind absolut die Regel«, sagt er und verweist darauf, dass sein Unternehmen neben den 19 Millionen Euro in bar auch zwei Kliniken eingebracht habe und somit insgesamt Eigenmittel von etwa 100 Millionen Euro einsetze. Diese Kliniken jedoch sind in den LBK eingegangen, Kaufpreis und -objekt verschmelzen auf seltsame Art. Unter dem Strich hat sich der LBK selbst gekauft. In die Selbstständigkeit startet er mit etwa 250 Millionen Euro Schulden.
Zur Wahl stehen sechs Prozent weniger Lohn oder der Abbau von 600 Stellen
»Ähnliches könnte dem Uniklinikum Gießen-Marburg blühen«, sagt Kestermann. Die angestrebte Privatisierung »ist ein hochgefährliches Experiment mit ungewissem Ausgang«, sagt auch Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Bei dem Verkauf an eine private Klinikkette sähe sich das fusionierte Klinikum gleich drei Belastungen ausgesetzt: der Tilgung des Kredits über den zu erwartenden Kaufpreis in wahrscheinlich dreistelliger Millionenhöhe, den unmittelbar notwendigen Investitionen von gemeinsam etwa 300 Millionen Euro und dem Druck, jährlich mindestens acht bis zehn Prozent Gewinn abzuwerfen.
»In Gießen-Marburg wird zu viel auf einmal versucht«, sagt Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin. Er und andere Experten hegen große Zweifel, dass die Kliniken diesen Belastungen unter den Bedingungen des Fallpauschalen-Systems ohne empfindliche Einschnitte standhalten können. Zumal die Möglichkeiten der Erlössteigerung wegen des eher kleinen Einzugsgebiets beschränkt sind. Ein Problem, das selbst Interessent Broermann von Asklepios sieht: »Das Risiko in Marburg und Gießen ist sehr groß, da 85 bis 90 Prozent der Patientenströme aus der Region kommen.« Bei der Konkurrenz der Rhön-Klinikum AG will man sich derweil zu Verkauf und Risiken generell nicht äußern – schließlich sei dies ein laufender Prozess, heißt es.
Oft geht der Wechsel eines Krankenhauses zu einem privaten Betreiber mit sichtbaren Verbesserungen einher. Wo vorher Gebäude verkamen, ist plötzlich Geld da für Renovierungen, schmucke Neubauten und eine moderne Ausstattung. Für Projekte, die die öffentliche Hand nicht mehr finanzieren konnte oder wollte, stehen auf einmal Banken mit großzügigen Krediten parat. Das Ganze hat jedoch seinen Preis, lässt es sich doch nicht ohne harte Einsparungen an anderen Stellen bewerkstelligen. Bei der Rhön-Klinikum AG heißt es, es sei nicht möglich, den »Bären (zu) waschen, ohne ihn nass zu machen«. Hinter den Kulissen wird oft gespart, was das Zeug hält. Zuerst werden meist patientenferne Dienstleistungen wie Küche und Wäscherei ausgegliedert oder eigene Trägerschaften gegründet, um aus Tarifverträgen aussteigen zu können. Doch dabei bleibt es nicht.
»Kündigungen sind an der Tagesordnung, und für examinierte Pflegekräfte werden häufig nur Hilfskräfte eingestellt, die den vielfältigen Anforderungen an die fachgerechte Versorgung von Patienten nicht gewachsen sind«, sagt Norbert Donner-Banzhoff, Professor an der Universität Marburg. Beim LBK etwa wurde bereits kurz nach der Übernahme für 2005 ein Abbau von mehreren hundert Vollzeitstellen beschlossen. Für die nächsten Jahre können die Mitarbeiter zwischen einer sechsprozentigen Lohnkürzung und damit einer Aushebelung der Tarifverträge oder der Streichung von etwa 600 Stellen wählen. Andere gängige Maßnahmen betreffen die Verlängerung von Arbeitszeiten sowie Lohnkürzungen, wodurch der Druck auf Ärzte und Pflegepersonal steigt. »Über kurz oder lang wirken sich diese Einsparungen auch auf die Behandlungsqualität und damit die Gesundheit der Patienten aus«, sagt Donner-Banzhoff. Ein Vorwurf, den private Betreiber weit von sich weisen.
Im Fall Gießen-Marburg ist zu erwarten, dass viele der insgesamt gut 11000 Stellen abgebaut werden. Die Personalratsvorsitzenden der Kliniken in Gießen und Marburg gehen von Stellenstreichungen von mindestens 10 bis 20 Prozent aus, eine Größenordnung, wie sie Gewerkschaftsvertretern zufolge bei einer Privatisierung üblich ist. Damit könnten rund 2000 Menschen ihre Arbeit verlieren, ganz zu schweigen von den gefährdeten Jobs bei den mittelständischen Zulieferern. Angesprochen auf mögliche Stellenverluste, verweist die Landesregierung lediglich darauf, dass der Verkaufsvertrag eine Garantie enthalten werde, wonach betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2010 ausgeschlossen sein werden. Den vielen Beschäftigten mit befristeten Verträgen wird das indes nur wenig nutzen.

»Hier herrscht Grabesstimmung. Die besten Leute laufen davon«
»Und was passiert«, fragt Marburgs Personalratsvorsitzender Wilfried Buckler, »wenn sich der Private an dem großen Brocken verschluckt? Sollen die Unikliniken dann geschlossen werden? Marburg lebt von dieser Klinik. Sie ist nicht nur das einzige maßgebliche Krankenhaus, sondern auch der größte Arbeitgeber der Region.« Doch für diesen Fall ist gesorgt. »Der Vertrag wird eine Rückfallklausel beinhalten«, sagt Staatssekretär Leonhard. »Im Fall einer Insolvenz des privaten Betreibers geht die fusionierte Klinik wieder an das Land Hessen.« Mitsamt der bis dahin angefallenen Schulden, versteht sich.
Am gravierendsten dürften sich die finanziellen Belastungen auf die Einheit von Forschung, Lehre und Patientenversorgung auswirken. Ihrem Wesen nach sind Unikliniken die Werkstätten der Medizinstudenten, die dort von den besten Spezialisten und direkt am Patienten lernen. Die Verzahnung von Forschung, Lehre und Behandlung nützt allen Beteiligten und vor allem den Patienten. So hat man etwa in Gießen und Marburg durch Grundlagenforschung in der Tumormedizin Erfolge erzielt, die auch international Beachtung fanden. Einzelne Tumorarten, die noch vor 20 Jahren zu 90 Prozent zum Tode führten, sind heute auch dank dieser Forschung zu 90 Prozent heilbar.
Ob es solche Erfolge an den Fakultäten unter privaten Eigentümern noch geben wird, scheint fraglich. »Private Klinikbetreiber werden naturgemäß wenig Interesse am Vorhalten einer adäquaten Forschungs- und Lehrtätigkeit haben«, befürchtet Ärztevertreter Montgomery. Äußerungen von Chefs mehrerer Privatketten bestätigen diese Einschätzung. Lutz Helmig, Hauptgesellschafter von Helios, hat nach eigener Aussage »kein Interesse an Grundlagenforschung«; der langjährige Vorstandsvorsitzende und heutige Aufsichtsratschef der Rhön-Klinikum AG, Eugen Münch, ist der Ansicht, der Direktor einer Klinik solle nicht dafür sorgen, dass geforscht und gelehrt, sondern dass produziert werde. Ob es da Gießen-Marburg viel nützt, dass das Land Hessen eine ständige Schlichtungskommission zwischen Klinik und Fakultät einrichten und über den Verkauf hinaus eine fünfprozentige Beteiligung an den Kliniken halten will – »um notfalls rechtlich eingreifen zu können«, wie Staatssekretär Leonhard erklärt –, darf bezweifelt werden.
»Ein solcher Verzicht auf Grundlagenforschung könnte der Anfang vom Ende für die deutschen Universitätskliniken sein«, befürchtet der Dekan der Medizinischen Fakultät in Marburg, Bernhard Maisch. Auch andere Unikliniken befinden sich in einer wirtschaftlichen Zwangslage, auch ihnen droht die Vollprivatisierung. In Lübeck und Kiel wird bereits ganz offen über einen Verkauf der Unikliniken spekuliert. »Auch dort würden wir uns sofort bewerben«, sagt Asklepios-Chef Broermann. Aufmerksam verfolgt die Fachwelt die Entwicklung in Hessen.
Die Vorboten des Verkaufs sind in Gießen und Marburg schon zu spüren. Seitdem das Gespenst »Privatisierung« umgeht, bewerben sich kaum noch Spitzenmediziner, andere werfen das Handtuch. »Hier herrscht Grabesstimmung. Die besten Leute laufen mir davon«, berichtet ein Chefarzt in Marburg. Vor einem Jahr hatte auch er einen Ruf an eine andere Universität. »Wenn ich gewusst hätte, was uns blüht, ich wäre damals ganz sicher gegangen.«
Von Jan Schmitt, DIE ZEIT 13.10.2005 Nr.42
>>> http://zeus.zeit.de/text/2005/42/Unikliniken

Ein Riese bewegt sich

Bill Emmott, Chefredakteur des Londoner Wirtschaftsmagazins Economist, schrieb vor 16 Jahren ein vorausschauendes Buch. Sein Titel: Die Sonne geht auch unter. Darin analysierte der Journalist schon vor dem großen Börsencrash in Tokyo die Grenzen und Schwächen des japanischen Wirtschaftswunders. Vergangene Woche hat Emmott einen 18-seitigen Report in seiner Zeitung wieder Japan gewidmet. Die Überschrift diesmal: Die Sonne geht auch auf. Soll heißen: Japans Talfahrt ist vorbei. Emmott glaubt, das Land habe sich im Schneckentempo der letzten Jahre nachhaltig liberalisiert, die Hauptbürden der Vergangenheit – Korruption und die Tradition lebenslanger Beschäftigung – abgeschüttelt und stehe nun vor einer neuen Wachstumsphase.
Wie tiefgreifend sich Japan verändert hat, zeigt das Gesetz zur Privatisierung der staatlichen Post, das nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen am Dienstag vom Tokyoter Unterhaus gebilligt worden ist und am Freitag durch ein zweites Votum, diesmal durch das Oberhaus, endgültig verabschiedet werden soll. Der gesamte Wahlkampf bis Anfang September war in Japan von diesem Thema bestimmt. Und dieses Thema war es letztlich auch, das Junichiro Koizumi, dem entschiedensten Verfechter der Postprivatisierung, zu einer triumphalen Wiederwahl als Premierminister verholfen hat. Zwar mahnt Emmott in seinem Artikel vor zu hohen Erwartungen in Hinblick auf die Reform: »Die Privatisierung der Postsparkasse wird Japan nicht auf zauberhafte Art und Weise in eine Wachstumsökonomie verwandeln.« Dennoch ist sie für japanische Verhältnisse geradezu revolutionär.
Als Koizumi als junger Abgeordneter der praktisch ohne Unterbrechung regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) Anfang der achtziger Jahre erstmals die Postprivatisierung forderte, machte er sich damit zum Außenseiter in seiner Partei. Schließlich sicherte die sich dank der Post einen Großteil ihrer Macht im Lande. 1992, während einer Parteikrise, wurde Koizumi gleichwohl Postminister. Doch seit wann können Minister in Japan ihren Ministerialbeamten Befehle erteilen? Koizumi blieb als Minister einflusslos. 2001, während einer der zahlreichen Parteikrisen, wurde er Premierminister und nahm den Kampf auf. Doch wieder hielt die Partei ihn hin. Erst 2004 ging Koizumi aufs Ganze. Er beauftragte seinen besten Mann, Wirtschaftsminister Heizo Takenaka, mit der Vorbereitung der Privatisierung. Der zögerte nicht und entwarf ein so radikales Gesetz, dass die Partei es im Parlament Anfang August ablehnte. Koizumi tobte, berief Neuwahlen ein. Und gewann.

Sein Sieg gleicht einem Sieg Japans über sich selbst.
Bereits 1871 wurde die japanische Post im Zuge der ersten Anfänge der Öffnung Japans zum Westen gegründet. Damals übernahm die Armee das preußische Militärwesen. Manufakturen nach englischer Art wurden gegründet, und auch die neuen roten Briefkästen, die ihre Farbe nie änderten, folgten dem englischen Vorbild. Doch ansonsten blieb die Post von ihrer Gründung bis heute die traditionellste aller Institutionen im modernen japanischen Staatswesen.
Der Grund dafür liegt in der Konstruktion der Post. Die Regierung in Tokyo hatte die Gründung und Bestellung ihrer Postämter, anfangs mangels Geld und Infrastruktur, den alten Großgrundbesitzerfamilien übertragen. So wurde das Postamt zur informellen lokalen Herrschaftsinstanz im ländlichen Japan. Es blieb stets im Familienbesitz, gestützt von einem Franchising-System, in dem der Staat Löhne garantiert und die Vererbung der Konzession des Postbetriebs an nachfolgende Generationen erlaubt. Heute sind viele Amtsleiter bereits Diener des Staates in der dritten oder vierten Generation. Ihre Familien regieren Dörfer und Kleinstädte. Sie verwalten neben der Post den lokalen Wohlfahrtsverein und kümmern sich um alte Leute. Ihre Briefträger sind Seelsorger. Bei Bedarf führen sie den Wahlkampf der Liberaldemokraten. »Das Postamt in Japan ist wie die Kirche in Irland oder Polen«, sagt Kenneth Courtis, Vize-Präsident der US-Investmentbank Goldman Sachs in Tokyo.

18935 Ämter werden von Familien geführt – ihr Einfluss ist groß
Offiziell gliedert sich die Post in drei Geschäftsbereiche: in das Brief- und Paketgeschäft, die Postsparkasse als Anlageoption vor allem für die Klein- und mittleren Verdiener und den Verkauf von Lebensversicherungen. Was sie, im Gegensatz zur ehemals staatlichen deutschen Postbank, nicht darf: Kredite vergeben. Doch blieben die japanischen Sparer der Post treu, weil das Land immer wieder Pleiten privater Banken erlebte: erst in den 20iger Jahren, dann nach dem Krieg, zuletzt zu Beginn der neunziger Jahre. Bei der Post, so glauben die Japaner unverändert, ist ihr Geld am sichersten aufgehoben. Wenngleich immer noch Milliarden unter der Bettmatratze, sprich: unter dem Tatami verwahrt werden.
Postämter sind in Japan so verbreitet wie Sushi-Läden. 18935 »speziell« genannte Postämter, die auf dem alten Großgrundbesitzermodell basieren, zählt das Land. 4470 Ämter gründen auf Landkooperativen, nur 1310 weitere wurden vom Staat selbst in den großen Städten errichtet. »Seit 1871 sorgt die Post für den Zugang zu Informationen, Warentransport, Finanzen und Verwaltung. Sie ist die Basis des Lebens. Sie ist fürs Volk und die lokale Gemeinschaft wie die Luft, die man zum Leben braucht.« Das ist der Anspruch, wie ihn die japanische Post mit ihren 400000 Angestellten noch heute in einer Werbebroschüre formuliert.

3,4 Billionen Dollar Einlagen – eine Geldquelle für die Regierung
Die enge Verbindung zwischen Politik und Post resultiert aus dem zweiten Weltkrieg. Das Finanzministerium war in den Jahren der Kampfhandlungen angehalten, unermesslich große Summen in die Rüstung zu pumpen. Deshalb wurde die Postsparkasse gezwungen, mit ihren Spareinlagen diese Milliardenausgaben über den Kauf von Staatsanleihen zu finanzieren. Das System war so erfolgreich, dass es nach dem Krieg fortgesetzt wurde. Seither verfügt Japan über einen »zweiten Staatshaushalt«, wie es im Jargon des Tokyoter Finanzministeriums heißt. Bis heute ist die Post der größte Abnehmer japanischer Staatsanleihen. Eine nahezu unversiegbare Geldquelle für die Regierenden.
Denn die japanische Postsparkasse ist seit Jahrzehnten die größte Bank der Welt. Heute verfügt sie mit Einlagen von 3,4 Billionen Dollar über mehr als ein Drittel aller Spar- und Lebensversicherungseinlagen in Japan. Das entspricht rund zwei Dritteln des Bruttosozialprodukts in der immerhin zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Über die Verwendung dieser Summen entschied bis 2001 allein das Finanzministerium. Es ließ mit dem »zweiten Haushalt« Brücken und Straßen bauen, zwei Drittel der japanischen Küste wurden einzementiert, jede Großstadt bekam ein Fußballstadion, jede Kleinstadt eine Mehrzweckhalle. Politiker durften sich für diese Taten rühmen und die Bauunternehmen für die Aufträge bedanken. »Der japanische Finanzsozialismus finanzierte sich über Postsparkasse und Postversicherung«, sagt Jesper Koll, Chefökonom der US-Investmentbank Merrill Lynch in Tokyo.
Schuldner der Postsparkasse ist allein der Staat. Im Prinzip kann Japan damit leben. Als größte Kreditgebernation der Welt, die heute wieder über gesundetes Bankensystem verfügt, steht Tokyo derzeit finanzpolitisch nicht unter Druck. Doch die Hypotheken auf die Zukunft des Landes sind hoch. Die Verschuldung des Staates wächst in diesem Jahr erneut um mehr als sechs Prozent, bis 2009 könnte Japan mit 200 Prozent seines Bruttosozialprodukts rote Zahlen schreiben. Hinzu kommt das ungelöste Problem der Pensionskassen, in denen sich mit der Verrentung der Babyboom-Generation in den nächsten Jahren riesige Lücken auftun werden. Dafür sieht die Koizumi-Regierung heute nur eine Lösung: den Verkauf der Post. Das sozialpolitische Netzwerk der Post interessiert sie deshalb nicht mehr. Und dank neuer Wählerschaften in den Städten muss die LPD heute einen Machtverlust weniger als früher scheuen, wenn sie die alten Großgrundbesitzstrukturen auf dem Land aufgibt.
Wie aber soll das funktionieren: die Privatisierung eines Finanzriesen mit Geldern in Höhe von zwei Dritteln des Bruttosozialprodukts? In vier Bereiche will Koizumi die Post splitten: in den Postamtbetrieb, den Brief- und Paketdienst, die Sparkasse und das Lebensversicherungsgeschäft. Doch erst einmal hat sich die Regierung zwölf Jahre lang Zeit gegeben: Erst 2017, so steht’s im neuen Gesetz, soll die Privatisierung der japanischen Post abgeschlossen sein. Weil an schnelle Lösungen nicht zu denken ist. Ohnehin sind private Banken und Versicherungen in Japan nicht an einer durch neue Investoren gestärkten Post interessiert. Sie verlangen die Zerschlagung und Auflösung der Post, in der sie immer einen vom Staat unfair bevorteilten Wettbewerber sahen.
Der Trend ist klar. »Der Staat zieht sich zugunsten des privaten Sektors zurück«, analysiert ein hoher Beamter im Tokyoter Finanzministerium das Wesen der Postreform. Er warnt, dass es lange dauern werde. Doch schon jetzt bereiten sich mit Blick auf die Postprivatisierung die großen internationalen Investmentbanken auf lukrative Börsengeschäfte und Fondsgesellschaften auf einträgliche Kooperationen bei der Vermarktung von Finanzprodukten vor.
Genau davor hatte der ehemals einflussreiche Bau- und Verkehrsminister Shizuka Kamei, bis zuletzt einer der vehementesten Gegner der Postprivatisierung, vor allem anderen gewarnt. »Japan wird im Namen der Globalisierung von ausländischen Kräften erobert. Die Postprivatisierung ist die letzte Phase dieses Prozesses. Mit ihr verschenken wir 3,4 Billionen Dollar an Amerika«, schimpfte Kamei. Seine Rufe verhallten ungehört.
Von Georg Blume, DIE ZEIT 13.10.2005 Nr.42
>>> http://zeus.zeit.de/text/2005/42/G-Japan__Post

DGB-Kreisverband fordert Lernmittelfreiheit statt Privatisierung der Bildung

Dorfen (ar) – „Weg mit dem Büchergeld! Her mit der Lernmittelfreiheit!“ Das hat Willi Scheib, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes Freising-Erding, angesichts der Debatte um das Büchergeld erneut gefordert. „Die von der CSU im Bayerischen Landtag beschlossene Eigenbeteiligung an der Lernmittelfreiheit müsste ehrlicherweise Abschaffung der Lernmittelfreiheit und Ausbau der Privatisierung von Bildung heißen“, schreibt Scheib in einer Pressemitteilung.
Heftige Kritik übt der Gewerkschafter auch am Sparkurs der Regierung. Sparen müsse man, heiße es, weil der Staat kein Geld mehr habe. „Wie könnte es anders sein, wenn den Großverdienern die Steuersätze Schritt für Schritt heruntergesetzt werden und die Großkonzerne und Banken Höchstprofite einfahren, ohne Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen? Es geht hier nicht ums Sparen, sondern um Umverteilung von unten nach oben. Und weil man die skandalösen Gewinne der Monopole wie z.B. jene der Öl- und Gasindustrie nicht schmälern will, greift man in die Tasche der kleinen Leute, hier beim Büchergeld in die der Erziehungsberechtigten und der volljährigen Schülerinnen und Schüler“, so Scheib.
Neben der Umverteilung gehe es um Privatisierung von Bildung und Ausbildung: Gebühren für den Besuch von Kindertagesstätten, Büchergeld, Studiengebühren, die Diskussion um die Beteiligung der Erziehungsberechtigten an den Schulbuskosten sowie der Versuch, Ausbildungsvergütungen zusammenzustreichen, wiesen in diese Richtung.
Scheib fordert die Abgeordneten des Bayerischen Landtags auf, den Beschluss zur Eigenbeteiligung an der Lernmittelfreiheit zurückzunehmen und die Lernmittelfreiheit in Bayern wieder herzustellen. „Die Kinderarmut darf nicht noch mehr zunehmen, die Abhängigkeit der Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler von der sozialen Lage des Elternhauses darf nicht noch mehr zementiert werden. Bildung darf keine Angelegenheit des privaten Geldbeutels, sondern muss eine gesellschaftliche Aufgabe sein“, fordert der DGB-Kreischef eindringlich.
Quelle: http://www.marktplatz-oberbayern.de/regionen/dorfen/art1580,319631.html?fCMS=75534fb8e070e1c91d4cf7324788d904

Ablenkungsmanoever

Es war absehbar. Die Machenschaften rund um Immobilienverkäufe der Suva im Tessin haben dazu geführt, dass einige damit ihr politisches Süppchen kochen. Die SVP reagierte einmal mehr am schnellsten. Sie fordert die Privatisierung der Unfallversicherungsanstalt. Der unterstellte Zusammenhang zwischen den bisher sieben Verhaftungen (darunter der ehemalige Immobilienverantwortliche der Suva) und der Privatisierung lautet dabei wie folgt: Wäre die Suva eine private Versicherung, wäre dies nicht passiert. So einfach und so knapp drückt sich etwa SVP-Nationalrat Guy Parmelin aus. Dabei geht vergessen: Selbst private Unternehmen – siehe Banken – sind gegen massive Verluste und illegale Praktiken im Immobiliensektor nicht gefeit.
Auch wenn also nicht ganz klar wird, wo der Zusammenhang zwischen einer Privatisierung der Suva und den mutmasslich (noch ist nichts bewiesen) luschigen Immobilientransaktionen liegt, ist das Thema «Privatisierung» selbstverständlich diskussionswürdig. Es wurde denn auch bereits ziemlich ausgiebig darüber gebrütet, und zwar vor der geplatzten Immobilienaffäre. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass eine Studie aus der Feder des St. Galler Wirtschaftsprofessors Franz Jaeger erschienen ist, der im Auftrag des Bundesrates eine «Kosten-Nutzen-Analyse» der Suva erstellt hatte. Diese fiel durchaus positiv zugunsten der heutigen Regelung aus, auch wenn Jaeger selbst einer Privatisierung wohlwollend gegenübersteht.
Im Schlussbericht der Studie steht zum Beispiel: «Im gegenwärtigen Zustand können keine bedeutsamen Ineffizienzen festgestellt werden.» Und: «Die Suva schneidet – im Vergleich mit den privaten Unfallversicherern – hinsichtlich des Verhältnisses von Versicherungsleistungen und Einnahmen aus Sicht der Versicherten gut ab.» Bei der Suva fallen keine Kosten für Werbung und Ähnliches an, und die Verwaltungskosten sind tief, was bei einem (Teil-)Monopol allerdings auch nicht weiter überrascht. Negativ verbuchen könnte man, dass bei monopolartigen Gebilden die Innovation gerne etwas zu kurz kommt.
Doch wie auch immer, die Frage der Privatisierung lenkt zurzeit lediglich vom akuten Problem ab, dem die Suva gegenübersteht. Die Suva-Führungsriege muss nun alles daran setzen, dass sie den Reputationsverlust, den sie sich eingehandelt hat, einigermassen begrenzen kann. Die Strafuntersuchungen liegen in den Händen der Tessiner Behörden. Doch dem Verwaltungsrat, in dem nicht weniger als 40 Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Bundesvertreter sitzen, obliegt es, die internen Konsequenzen zu ziehen – und zwar rasch und in transparenter Weise. Sonst ist das politische Süppchen noch lange nicht gegessen.
24. September 2005, Neue Zürcher Zeitung

Japans Postreform – ein Lehrstueck

Der durchschlagende Wahlsieg der Liberaldemokraten (LDP) am letzten Sonntag hat die Kräfteverhältnisse im japanischen Parlament derart grundlegend geändert, dass Hoffnungen auf eine Beschleunigung des Reformkurses berechtigt scheinen. Die beiden Regierungsparteien, die LDP und die buddhistisch angehauchte Neue Komeito, verfügen dank ihrer Zweidrittelmehrheit über die Möglichkeit, sich gegebenenfalls über eine Reformblockade konservativer Kräfte im Oberhaus hinwegzusetzen. Die Taktik von Ministerpräsident Junichiro Koizumi, 37 abtrünnige LDP-Abgeordnete, die im August gegen seine Postreformvorlage gestimmt hatten, kurzerhand aus der Partei hinauszuspedieren, hat sich ausbezahlt. Koizumi hat seine härtesten Widersacher, die sich schon immer innerhalb der LDP und nicht auf den Oppositionsbänken fanden, für einige Zeit zum Schweigen gebracht. Das Volk vertraut Koizumi mehr noch als der LDP, und es hat ihm nun den Rücken gestärkt.
Angelpunkt und Grundstein für den grössten Wahlerfolg der LDP in ihrer 50-jährigen Geschichte ist die von Koizumi durch alle Böden hindurch verfochtene Postprivatisierung. Schon früh trat der Mann mit der wilden Löwenmähne für dieses Projekt ein; 1992 forderte er als Postminister zum Entsetzen der LDP-Oberen die baldige Entlassung der Postsparkasse in die Privatwirtschaft. In seiner Regierungserklärung von 2001 schlug Koizumi dann härtere Töne an und brandmarkte die Staatspost als eine der Hauptursachen für die Wirtschaftsmisere in Nippon. Nun verhält es sich tatsächlich so, dass die Post am japanischen Kapitalmarkt aufgrund ihrer Grösse, vor allem aber wegen ihrer Privilegien wie der Elefant im Porzellanladen herumtollt. Japans Post ist mit ihren 280 000 Angestellten und 25 000 Filialen nicht nur eine viel zu grosse Monopolistin für die Zustellung von Briefen, sondern sie verwaltet über ihr Sparkassen- und Lebensversicherungsgeschäft die immense Summe von umgerechnet 4400 Mrd. Fr. Damit übertrifft die Post die grösste Bank der Welt, Citicorp, um Längen – womit zu Rentabilität und Effizienz aber nichts gesagt ist.
Es ist kein Zufall, dass Koizumi mit der Vorbereitung der Postprivatisierung Heizo Takenaka betraut hat, denn Japans Staatsminister für Wirtschaftspolitik brachte zuvor die Sanierung des Bankensektors massgeblich voran. Bank- und Postreform sind eng miteinander verquickt. Die Gesundung des Finanzsektors wird nicht nachhaltig sein, wenn die neu formierten Banken nicht mit gleich langen Spiessen wie die Postsparkasse ins Feld ziehen können. Die mit einer Staatsgarantie ausgestattete Postsparkasse zahlt keine Steuern; auch die Pflicht zur Unterlegung ihres Geschäfts mit Eigenkapital und Mindestreserven fehlt. Vier von fünf Japanern unterhalten bei der Post ein Bankkonto, was nicht weiter verwundert, weil die Zinsen sowieso vernachlässigbar gering sind, die Kommerzbanken aber – sinnvollerweise – keinen unbeschränkten Einlegerschutz mehr gewähren. Die Marktverzerrung ist evident wie auch die schleichende Verstaatlichung des Bankgeschäfts überhaupt. Klüngelwirtschaft, Korruption und Geldverschwendung feiern in diesem Umfeld Urständ.
Ausser der an und für sich schon untolerierbaren Unterminierung des privaten Bankensektors hat das Post-Füllhorn noch andere negative Konsequenzen. Die Postsparkasse gehört zusammen mit der staatlichen Rentenkasse zu den schlagkräftigsten Machtinstrumenten der Mandarine in der Ministerialbürokratie. Innerhalb des Dreiecks Wirtschaft – Politik – Bürokratie verfügt die letztgenannte Institution über viel Macht, was sich just bei der Staatspost auf fatale Weise bemerkbar macht. Die Mechanik zur Umleitung der Finanzströme nach dem Gutdünken der Spitzenbeamten des Finanzministeriums ist im Prinzip seit fünfzig Jahren intakt. Die mit der Postsparkasse geäufneten Mittel werden nämlich im Rahmen des Fiscal Investment and Loan Program (FILP) – es wird wegen seines Gewichts im Volksmund das «zweite Budget» genannt – an zahlreiche staatsnahe Agenturen ausgeliehen; mit dem Rest werden Staatsobligationen gekauft. Dieser riesige Schattenhaushalt entzieht sich weitgehend der parlamentarischen Kontrolle und nährt den Verwaltungsapparat. Marktkriterien spielen bei der Verteilung der Gelder keine Rolle, persönliche Beziehungen und die Fortführung des bisherigen Ausgabengebarens dagegen schon. So etwas verträgt sich schlecht mit Marktwirtschaft.
Die OECD hat vor Jahren anhand des Fiaskos mit den staatlichen Eisenbahnen interessantes Anschauungsmaterial zur Effizienz von FILP-Programmen geliefert. Die während zweier Dezennien Verluste einfahrende Japan National Railways (JNR) wurde 1987 in sieben Unternehmen aufgespalten. Der Staat übernahm von ihr via JNR Settlement Corp. Schulden von umgerechnet rund 300 Mrd. Fr. sowie Aktiven, mit denen man diese Verbindlichkeiten decken wollte. Die Netto-Verbindlichkeiten stiegen aber in der Folge trotz dem Verkauf von Land unablässig, bis 1998/99 die Quittung erfolgte. Mit dem Transfer eines Defizitbetrags von wiederum 300 Mrd. Fr. in die ordentliche Rechnung erfüllte die Regierung die gegenüber den Staatsbahnen implizit abgegebene Garantieleistung. Die Aktiven reichten also gerade zur Bezahlung von Renten und Zinsen. Selten ist dem in- und ausländischen Publikum so klar vor Augen geführt worden, von welch zweifelhafter Natur die Werthaltigkeit von Vermögenswerten staatlicher Agenturen Japans sein kann.
Wenn sich Koizumi jetzt anschickt, den Koloss Post zu zerschlagen, steht viel auf dem Spiel. Der Plan zur Privatisierung der Post ist mutig, zählen wird aber nur dessen Umsetzung. Früh schon ist auch der Spitzenverband der Wirtschaft, Keidanren, auf den Koizumi-Kurs eingeschwenkt, und noch vor Bekanntgabe des neuen Kabinetts soll nun das Postreformgesetz verabschiedet werden. Es ist erfrischend, wenn sogleich aufs Tempo gedrückt wird, obwohl der bisherige Zeitplan zur vollen Privatisierung der Post alles andere als ambitiös wirkt. Bis 2007 werden die vier Geschäftsbereiche Briefzustellung, Postbank, Lebensversicherung und Verwaltung der Schalterdienste unter ein gemeinsames Holdingdach gelotst. Erst 2017 würde dann nach stufenweisem Vorgehen die Privatisierung mit der Placierung der letzten Postbankaktien abgeschlossen.
Obwohl der Zeitraum von einem Dezennium zwischen Start- und Zielpunkt der Postreform skeptisch stimmt und Koizumi angeblich schon 2006 zurücktreten will, gibt es mehrere ermutigende Zeichen. Noch nie, auch nicht unter Tanaka in den siebziger und unter Nakasone in den achtziger Jahren, hatte eine Regierung so freie Hand wie jetzt die Administration Koizumi. Partikulärinteressen werden einen schweren Stand haben. Das wirtschaftliche Umfeld für beherzte Reformen ist ebenfalls günstig. Die Deflation scheint bald besiegt zu sein, die Bilanzen der Banken sind grossenteils in Ordnung, und das Wachstum ist mit zuletzt geschätzt mehr als 3% in Anbetracht der sinkenden Erwerbsbevölkerung sehr ansprechend. Zweifellos muss Koizumi noch andere Reformen anpacken. Das im Umlageverfahren organisierte Rentensystem lässt sich nicht halten. Noch vordringlicher ist eine Gesundheitsreform; die rasche Überalterung zwingt zu einem Umbau. Gemessen werden wird die Regierung Koizumi aber vor allem an der Postprivatisierung. Gelingt sie, ist Japan ein gutes Stück weiter. Nach Marktkriterien vergebene Kredite einer privatisierten Postsparkasse würden Japan nachhaltig revitalisieren.

Neue Zürcher Zeitung, 17. September 2005

Historische Unternehmensforschung

Die World Wide Web Virtual Library über Labor History and Business History und das Portal des Business History Review bieten Einstiege in die klassische Unternehmensgeschichte hin zu solchen Projekten wie Elites and Social Change – Family Strategies and Networks of Power, 1500-2000 (Finnland). Das DFG-Projekt Elitenwandel in der gesellschaftlichen Modernisierung konzentriert sich auf die Zeit vor dem 20. Jahrhundert (natürlich nicht online).

Sehr ertragreich sind die Unterlagen der Tagung Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert: Kontinuität und Mentalität, am Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung Bochum 11.-13.10.2001 (Rezensionen des mittlerweile erschienenen Tagungsbandes: junge Welt, HSozKult). Zu nennen sind die Beiträge:

  • Christiane Eifert: Auf dem Weg in die wirtschaftliche Elite: Unternehmerinnen in der Bundesrepublik Deutschland
  • Irene Bandhauer-Schöffmann: Unternehmerinnen
  • Michael Hartmann: Soziale Homogenität und generationelle Muster der deutsche Wirtschaftselite seit 1945
  • Hervé Joly: „Ende des Familienkapitalismus“? Das Überleben der Unternehmerfamilien in der deutschen Wirtschaftselite des 20. Jahrhunderts
  • Martin Münzel: Die deutsche Wirtschaftselite und ihre jüdischen Mitglieder. Kontinuität und Diskontinuität 1927-1955
  • Karl Lauschke: Vom Schlotbaron zum Krisenmanager. Der Wandel der Wirtschaftselite in der Eisen- und Stahlindustrie. Eine Skizze
  • Barbara Koller (Zürich): Die Entwicklung der persönlichkeitsbezogenen Anforderungsprofile an die Wirtschaftselite seit den 1960er Jahren
  • Lutz Budraß (Bochum): „Sackgasse oder Zwischenspeicher?“ Die „Luftwaffenindustrie“ und die Führungsschicht der deutschen Wirtschaft, 1930-1960 [pdf];  Dieter Ziegler (Bochum): Strukturwandel und Elitenwechsel im Bankenwesen 1900-1957
  • Jörg Lesczenski / Birgit Wörner  (Bochum/Frankfurt): „Ich werde mir Mühe geben… den entzückten, liebenden Ehemann zu markieren… .“ Moritz von Metzler und August Thyssen: Ideale und Alltagspraktiken wirtschaftsbürgerlicher Lebensführung zwischen Kaiserreich und Weltwirtschaftskrise
  • Christof Biggeleben (Berlin): Bürgerliche Kontinuitätslinien im Berliner Unternehmertum zwischen 1890 und 1961
  • Stefan Unger (Bochum): Die Wirtschaftselite als Persönlichkeit: Zur Selbstdarstellung von Unternehmern und Managern im Ruhrgebiet während der Zwischenkriegszeit
  • Morten Reitmayer (Trier): „Unternehmer zur Führung berufen – durch wen?“

J. Bradford DeLong (Berkeley) erzählt über die Robber Barons und eine kleine radikale Geschichte der US-Corporationen gibt es beim Third World Traveler („Know Thine Enemy“).