Wien: Oeffentlicher Wohnungsbau verbessert Lebensqualitaet

Ludwig: „Wiener Wohnbauförderung ist internationales Vorbild“
Wien (RK). Erneut belegt die aktuelle Mercer-Studie „Quality of Life Survey 2007“ ( www.mercerhr.com/ ) die hohe Lebensqualität in Wien. „Unsere Stadt ist die klare Nummer 1 aller Hauptstädte innerhalb der Europäischen Union und belegt im internationalen Vergleich von weltweit 215 untersuchten Städten den 3. Platz. Besonderen Anteil an dem hervorragenden Ergebnis hat die Wiener Wohnpolitik: In der Mercer-Studie wird Wohnen (Housing) als eigene Kategorie bewertet. Als Wohnbaustadtrat freut es mich ganz besonders, dass Wien in allen drei untersuchten Teilbereichen – Wohnqualität insgesamt, Ausstattung der Wohnungen und Erhaltungszustand der Wohnhäuser – mit jeweils 10 von 10 möglichen Punkten die höchste Note erhalten hat. Das beweist ganz klar, wie sehr der Wiener Wohnbau mithilft, den Spitzenplatz Wiens zu festigen“, betonte der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig am Dienstag im Rahmen des Mediengesprächs des Bürgermeisters.
„Die Wohnbauförderung spielt dabei die entscheidende Rolle. Sie ist das zentrale Instrument für die Schaffung und Sicherung erschwinglichen Wohnraums und damit auch für die hohe Wiener Lebensqualität. In Wien werden die Mittel der Wohnbauförderung im Rahmen des Zweckzuschussgesetzes, im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern, ausschließlich für den Bereich Wohnen verwendet. Dabei setzen wir auf drei Säulen: die Neuerrichtung von Wohnräumen, die Sanierung bestehender Altbauten und die Subjektförderung, also die direkte finanzielle Unterstützung sozial Schwächerer. Außerdem koppeln wir die Wohnbauförderung im Rahmen des Wiener Klimaschutzprogramms KliP bereits seit Jahren gezielt an Maßnahmen für den Schutz des Klimas. Während Umweltminister Pröll den Niedrigenergiestandard im Neubau für ganz Österreich bis 2015 durchsetzen will, ist er in Wien im geförderten Neubau bereits seit fast 10 Jahren verpflichtend. Daneben leisten wir mit der thermisch-energetischen Wohnhaussanierung (Thewosan) einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Umwelt und damit auch zu mehr Lebensqualität“, unterstrich Ludwig.
„Allein heuer werden wir mit den Mitteln der Wohnbauförderung rund 5.500 neue Wohnungen errichten und rund 10.000 Altbauwohnungen sanieren“, hält der Wohnbaustadtrat fest. Pro Jahr erhält das Land Wien im Schnitt 450 Millionen Euro vom Bund – für die Investitionen in die Errichtung und Sanierung von Wohnungen legt Wien aber noch einiges drauf: 2005 gab Wien um 108 Millionen Euro mehr aus, als das Land vom Bund erhielt, 2006 waren es 85 Millionen Euro mehr.
Insgesamt investierte das Land Wien im Jahr 2006 rund 535 Mio. Euro in Neubau, Sanierung und Direktunterstützungen. Damit werden direkt und indirekt im Bau- und Baunebengewerbe rund 15.000 Arbeitsplätze gesichert. Darüber hinaus wendet die Stadt im Bereich von Wiener Wohnen, der Hausverwaltung der 220.000 Gemeindewohnungen, noch einmal rund 600 Mio. Euro für die Erhaltung und Verbesserung der städtischen Wohnhausanlagen auf. Heuer und in den kommenden Jahren investiert Wiener Wohnen verstärkt – zwischen 120 und 150 Millionen Euro pro Jahr – in die Sanierung der Wiener Gemeindebauten.
„Vor diesem Hintergrund kann die Forderung von Finanzminister Molterer, die Wohnbauförderung zur Gänze für Klimaschutzmaßnahmen zu verwenden, nur so gedeutet werden, dass er die starke soziale Komponente der Wohnbauförderung nicht verstanden hat oder ihr keine Bedeutung zu misst“, unterstrich Ludwig.

Die Wiener Wohnbauförderung im internationalen Vergleich
Die meisten europäischen Metropolen investieren ausschließlich über Subjektförderung, das heißt: der Gewährung von Wohnbeihilfe. Wien hingegen setzt bewusst auf die Verwendung der Wohnbauförderung zur Subjekt- und der Objektförderung. Damit profitieren wir von den Vorteilen beider Systeme: zum einen greifen wir den Menschen, die unsere Hilfe benötigen gezielt unter die Arme, zum anderen investieren wir in den Neubau und die Sanierung von Wohnräumen.
Berlin zum Beispiel wendet pro Jahr rund 1,3 Milliarden Euro an Wohnbauförderung auf. Obwohl das nach sehr viel klingt, werden davon mehr als 90% für die Rückzahlung von Darlehen für bereits gebaute Wohnbauten aufgewendet. Für neue Projekte bleiben also nur noch 10% oder rund 130 Millionen Euro. Die Stadt Wien hingegen investiert pro Jahr rund 260 Millionen Euro allein in den Wohnungsneubau und ist damit die klare Nummer 1 im europäischen Feld. Noch deutlicher wird die Führungsposition Wiens bei der Anzahl der neuerrichteten Wohnungen pro Jahr: Europäische Metropolen, die weit größer sind als Wien, wie zum Beispiel Paris bauen pro Jahr rund 4.800 Wohnungen – in Wien sind es jährlich 5.500. Die einzige europäische Großstadt, die bezüglich der Summe neugebauter Wohnungen an Wien heranreicht ist München, jedoch werden von den rund 5.000 neuen Wohnungen pro Jahr nur 20% gefördert – also nur rund 1.000. Dem stehen in Wien aber 5.500 geförderte Wohnungen pro Jahr gegenüber.

Wohnbauförderung leistet wichtigen Beitrag zum Klimaschutz
Wien nimmt seit Jahren eine Vorreiterrolle im ökologischen Wohnbau ein. Beim Neubau ist bereits seit 1998 der Niedrigenergiestandard verpflichtend, einige Passivhausprojekte, sind ebenfalls bereits fertig gestellt. Im Sanierungsbereich spielt die thermisch-energetische Wohnhaussanierung (Thewosan) die größte Rolle. Ein mit Thewosan wärmegedämmtes Wohnhaus verbraucht um etwa die Hälfte weniger Energie für Raumwärme als ein Haus ohne Thermo-Fassade. „Heuer und in den kommenden Jahren werden wir auch Gemeindebauten verstärkt thermisch-energetisch sanieren. Durch die Thewosan-Sanierung konnten wir alleine letztes Jahr über 184.000 Tonnen an CO2 – Emissionen einsparen. Um das zu erreichen, dürften 46.000 Wienerinnen und Wiener ein Jahr lang überhaupt kein CO2 verursachen, das heißt kein Autofahren, keine Benützung elektrischer Geräte, kein Licht und keine Arbeit mit Maschinen und Geräten“, informierte Ludwig.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Forcierung der Passivhaustechnologie als Weiterentwicklung des Niedrigenergiehauses. Derzeit werden die bereits fertig gestellten Projekte evaluiert. Zudem startete kürzlich der Bauträgerwettbewerb für „Eurogate – Phase I“, bei dem die architektonische und technische Weiterentwicklung von Passivhäusern ein wichtiges Kriterium darstellt. Daneben ist die Wohnbauförderung auch beim Umstieg auf alternative Energieträger wie Fernwärme, Biomasse oder Sonnenkraft unverzichtbar.

Die Leistungen der Wiener Wohnbauförderung im Überblick
– Deutlich günstigere Mieten
Durch den hohen Anteil an Förderungen auch im privaten Miethausbereich gewährleistet die Stadt Wien qualitative Wohnräume zu leistbaren Preisen. In vergleichbaren Städten wie München oder Zürich sind die durchschnittlichen Wohnungskosten um mindestens 50% höher als in Wien. Noch höher sind sie in Städten wie Paris oder London, wo die exorbitanten Mietpreise mittlerweile auch dazu führen, dass Schlüsselarbeitskräfte wie z.B. Lehrerkräfte, Polizeibeamten oder Krankenhauspersonal nicht mehr wohnversorgt werden können. In London führt diese Situation auch zur Abwanderung von Betrieben und schädigt damit die lokale Wirtschaft.

– Deutlich niedrigere Wohnungslosigkeit
Der Anteil der wohnungslosen Personen beträgt in Wien weniger als 0,3% der gesamten Stadtbevölkerung, in anderen europäischen Großstädten liegt der Anteil mindestens doppelt so hoch. Seitens FEANTSA, der europäischen Dachorganisation der Wohnungslosenhilfen, wird Wien daher immer als Musterbeispiel einer sozial orientierten Wohnungspolitik bezeichnet. Hier leistet die Wohnbeihilfe des Landes Wien einen wichtigen Beitrag.
-Deutlich höhere soziale Ausgewogenheit
Durch den gezielten Einsatz der Wohnbauförderung in Sanierungszielgebieten gestaltet die Stadt ganze Wohngebiete lebenswerter. Das zieht auch vermehrt private Bauträger und Unternehmer in die Grätzel. Gleichzeitig werden damit die Rahmenbedingungen für ein ausgewogenes gesellschaftliches Zusammenleben geschaffen. Damit wird auch ein wesentlichen Beitrag für die soziale Sicherheit in unserer Stadt geleistet. In Wien gibt es keine ’no go-areas‘ wie z.B. in Paris.

– Deutlich geringere Wartezeiten auf Gemeinde- oder geförderte Mietwohnungen
In vielen europäischen Städten liegen die Wartenzeiten auf sozial geförderte Wohnungen, selbst in dringenden Fällen, bei mehreren Jahren. Die Wiener Wohnpolitik schafft eine ausgewogene Mischung zwischen Neubau und Sanierung und schafft damit ein bedarfsgerechtes Angebot an leistbarem Wohnraum. Das hat zur Folge, dass zwischen der Anmeldung und der Übergabe – z.B. für eine Gemeindewohnung – im Schnitt maximal zwei Jahre vergehen. Bei Notfällen greift die Stadt den Menschen auch unmittelbar unter die Arme.

– Möglichkeit, Quantität und Qualität der Wiener Wohnungen zu beeinflussen
Die Neuerrichtung geförderter Wohnungen in Wien läuft auf zwei Schienen: Bauträger, die bereits über Grundstücke verfügen, legen ihre Projekte dem Grundstücksbeirat vor, der nach den Hauptkriterien Ökologie, Ökonomie und Architektur über die Gewährung einer Förderung entscheidet. Bauträger, die ein geeignetes Grundstück von der Stadt Wien erhalten, sind zu der Durchführung eines Bauträgerwettbewerbes verpflichtet. Durch den hohen Anteil an Objektförderung kann die Stadt durch die Vorgabe bestimmter Kriterien für diese Wettbewerbe gezielt Akzente auf ökologisches Bauen oder barrierefreies Wohnen setzen. Außerdem wirkt der geförderte Wohnungsbau preisdämpfend auf die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt.

– Wichtiger Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele
Die Wiener Wohnbauförderung spielt eine entscheidende Rolle zur Erreichung der Klimaschutzziele, die im Rahmen des Wiener Klimaschutzprogramms KliP formuliert wurden. Seit 1998 ist in Wien der Niedrigenergiestandard im geförderten Neubau verpflichtend. Daneben setzt die Stadt auch auf die Passivhaustechnologie: eine Reihe dieser Wohnbauprojekte wurden mit Mitteln der Wohnbauförderung bereits fertig gestellt. Im Sanierungsbereich spielt die thermisch-energetische Wohnhaussanierung (Thewosan) die größte Rolle. Daneben finanziert das Land Wien mit den Mitteln der Wohnbauförderung den Umstieg auf alternative Energieträger wie Fernwärme, Biomasse oder Sonnenkraft.

– Stärkung der Wiener Wirtschaft
Die Wohnbauförderung stärkt den Wirtschaftsstandort Wien: Viele ausländische Unternehmen kommen auch wegen der hohen Lebensqualität nach Wien – und der Wiener Wohnbau leistet hier einen wesentlichen Beitrag. Daneben sichert die Wiener Wohnbauförderung tausende Arbeitsplätze im Bau- und Baunebengewerbe. „Die im internationalen Vergleich entspannte Situation auf dem Wohnungsmarkt, aber auch die soziale Ausgewogenheit und damit auch die Sicherheit in Wien stellen außerdem ,weiche Standortfaktoren‘ dar, die in internationalen Untersuchungen immer wieder als besonderer Vorteil Wiens im Sinne der Attraktivität für Unternehmen und Investoren genannt werden“, unterstreicht Ludwig.
Zwtl.: Die Bilanz der Wiener Wohnbauförderung für die letzten Jahre
Mit den Mitteln der Wiener Wohnbauförderung wurden in den letzten sieben Jahren 362 geförderte Wohnbauprojekte mit insgesamt 33.015 Wohneinheiten fertig gestellt. 98 weitere Projekte mit einer Gesamtzahl von 7.593 Wohnungen befinden sich derzeit in Bau. Daneben wurde für 57 Projekte mit insgesamt 4.598 Wohnungen bereits Förderungen zugesichert, für weitere 81 Projekte mit 6.509 Wohnungen liegt eine Förderempfehlung vor.
Aufgelistet nach Bezirken liegt Favoriten mit einer Gesamtzahl von 8.586 neu errichteten geförderten Wohnungen klar an erster Stelle. Auf Platz zwei liegt die Donaustadt mit 7.052 Wohnungen, gefolgt von Simmering mit insgesamt 6.342 geförderten Neubauwohnungen.
In den Jahren 2000 bis 2006 wurden aus den Mitteln der Wiener Wohnbauförderung insgesamt 1.702 Wohnobjekte mit 76.697 Wohnungen in ganz Wien saniert. Dazu kommen bis April 2007 zusätzliche 527 Projekte mit insgesamt 31.506 Wohnungen, die gerade revitalisiert werden. Dafür investierte das Land Wien rund 1,29 Milliarden Euro. Die Sanierungsschwerpunkte liegen bzw. lagen in den Bezirken Ottakring (213 Objekte mit 5.559 Wohnungen), Favoriten (179 Objekte mit 13.997 Wohnungen) und Landstrasse (155 Objekte mit 4.538 Wohnungen).
Im Jahr 2006 gab die Stadt Wien rund 86 Millionen Euro an Wohnbeihilfe aus, damit wurden 54.748 Bezieherinnen und Bezieher finanziell unterstützt. Für das heurige Jahr ist eine Summe von rund 89 Millionen Euro veranschlagt.

http://www.magwien.gv.at/vtx/vtx-rk-xlink?SEITE=020070410014

MacPlanet: Tagung in Berlin

http://www.mcplanet.com ist ein deutschsprachiger Kongress mit internationalen Gästen zu Themen an der Schnittstelle von Globalisierung und Umwelt. Er wird veranstaltet von Attac, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, dem EED, Greenpeace und der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Privatisierungsfolgen in Neuseeland

Helen Clark, Premierministerin von Neuseeland, im Interview mit der NZZ:
«Wir brauchen einen starken Staat»
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/519837ca-e9c2-4c20-918c-31ac11ad8045.aspx
kurzer Ausschnitt zum Thema Privatisierung und ihre Folgen:
Frage: Neuseeland hat damals im großen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?
Helen Clark: Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte.
(gefunden bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=1983 )

Das vollstaendige Interview der NZZ:

Privatisierung – NZZ Folio 09/06
«Wir brauchen einen starken Staat»

Seit die Sozialdemokratin Helen Clark Neuseeland regiert, hat sie die Privatisierung behutsam zurückgedreht. Und das Land kann erstaunlich gute Wirtschaftsdaten vorweisen. Trotzdem oder deswegen? Von Anja Jardine

Frau Premierministerin, Neuseelands Wirtschaft floriert, es gibt kaum Arbeitslose. Verdanken Sie das den «Rogernomics» – den radikalen Wirtschaftsreformen der 1980er Jahre, benannt nach dem damaligen Finanzminister Roger Douglas?

Das glaube ich nicht. Die Deregulierung erfolgte vor zwanzig Jahren, danach sind wir jahrelang furchtbar gestrauchelt. Und ich bin überzeugt, dass die Rogernomics deshalb nicht funktioniert haben, weil es für den Staat keine angemessene Rolle gab, denn es bedarf in der Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts unbedingt einer Führungsrolle des Staates. Seit ich im Amt bin, versuche ich, die für Neuseeland herauszuarbeiten.

Worin besteht die Rolle?

Wir sind ein kleines Land, wir müssen als «Neuseeland Incorporated» arbeiten, wir müssen unsere Politik eng auf unsere Wirtschaft ausrichten – ihre Potentiale identifizieren, gezielt forschen und entwickeln, sicherstellen, dass genug Risikokapital zur Verfügung steht. Die Privatwirtschaft reisst sich nicht drum, Ideen zu finanzieren, die sich noch nicht bewiesen haben. Sowenig wie sie freiwillig Grundversorgung gewährleistet oder in Infrastruktur investiert. Das hat uns die Erfahrung gelehrt.

Neuseeland hat damals im grossen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?

Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte. Es mangelt in diesem Bereich noch heute an Wettbewerb und Angebot. Wir haben grosse Mühe, das zu korrigieren. Zum Beispiel versuchen wir gerade, im Bereich der Breitbandtechnologien das Gefüge aufzubrechen.

Warum gab es beim Verkauf keine Auflagen, die Grundversorgung und Wettbewerb sicherstellten?

Wir waren mit die ersten weltweit, die deregulierten. Das Pendel schwang von einer Art westlichem Albanien, das wir waren, zu einem Zustand ohne jede Regeln. Die privaten Energiekonzerne zum Beispiel haben über Jahre hinweg nur den Profit abgezogen und weder in Instandhaltung noch Erneuerung des Netzes investiert.

Was unter anderem dazu führte, dass 1998 für 66 Tage weite Teile Aucklands ohne Strom waren.

Ja. Ähnlich erfolglos war der Verkauf der Banken: der Postbank und auch der Bank of New Zealand. Es gibt heute keine neuseeländische Bank von Rang mehr, die meisten sind in australischer Hand. Und weil diese Grossbanken kein Interesse am kleinen Mann haben, konnte man in manchen Städten jahrelang kein Konto mehr eröffnen. Die Regierung musste auch da einspringen und hat in den Postfilialen eine Bank eingerichtet.

Hätte Neuseeland 1984 die Möglichkeit gehabt, die Reformen behutsamer durchzuführen?

Fest steht: Wir konnten nicht weitermachen wie bisher. Aber es hätte besser geplant sein müssen, von entsprechenden Massnahmen begleitet. So gibt es in Neuseeland zum Beispiel Potential für Nischenproduktion, doch dazu bedarf es hochqualifizierter Arbeiter und Innovation. Das hätte man parallel initiieren müssen. Vor allem hätten die Menschen wissen müssen, was auf sie zukommt. Die haben die Reformen nie gewählt. Auf diese Weise verliert man die demokratische Legitimation. Wir mussten das Wahlrecht ändern – vom britischen Modell zum deutschen Verhältniswahlrecht, das kleinen Parteien den Zugang erleichtert. Die Menschen haben uns nicht mehr vertraut.

Wie waren Sie persönlich in die Reformen involviert?

Ich war im Parlament, und ich war zweifelsfrei nicht einverstanden mit dem, was da geschah. Und als ich 1987 dann Ministerin für Wohnungsbau und Gesundheit wurde, musste ich mich mit den sozialen Konsequenzen der Reformen auseinandersetzen, und die waren enorm. Wenn man ein System mit freier Ausbildung und freiem Gesundheitswesen abschafft, bewegt man sich als Nation rückwärts.

Aber es gab keine nennenswerte Opposition. Die National-Partei machte weiter, wo Labour aufgehört hatte.

Moment, die Labour-Regierung hat in der ersten Reformrunde die Wirtschafts- und Finanzmärkte dereguliert, aber wir haben weder das soziale Netz gekappt noch den Arbeitsmarkt angefasst. Das hat die National Party getan, als sie 1990 an die Macht kam. Die haben Renten und Sozialleistungen gekürzt, Gebühren für Krankenhäuser und Universitäten eingeführt sowie die Gewerkschaften entmachtet. Es kam zu Massenentlassungen. Da ging es erst richtig abwärts.

Aber es war die Labour-Partei, die den Bauern über Nacht die Subventionen gestrichen hat.

Das war richtig. Wir mussten die Subventionen los werden – dauerhafte Bezuschussung der Produktion ist grundsätzlich falsch –, aber es geschah zu schnell, zu hart, zu radikal. Viele Farmer sahen ihr Lebenswerk zerstört. Mein Vater, ebenfalls Bauer, nahm Antidepressiva.

Wer die Krise durchgestanden hat, scheint heute sehr robust zu sein. Ist das so?

Ja, Sie finden keinen einzigen Bauern im Land, der zu den alten Zuständen zurückwill. Unsere Farmen sind hochproduktiv, und der abgelegenste Hochlandbauer hat ein ausgeprägtes unternehmerisches Bewusstsein. Aber es geht nicht nur um Milch, Fleisch, Wolle und Holz, sondern zum Beispiel auch um Biotechnologie. Wir haben vor Jahren eine Taskforce mit Leuten aus Industrie und Regierung eingerichtet, um auf diesem Feld eine klare Strategie zu entwickeln. Die Herausforderung besteht für uns darin, Mehrwert zu schaffen: Functional Food, Nahrungsergänzungsstoffe. Das müssen wir fördern, fördern, fördern.

Weit über 90 Prozent der rund 13 000 Milchbauern haben sich zu einer Grosskooperative zusammengeschlossen: Fonterra. Das sieht nach Sozialismus aus.

Wenn neuseeländische Milchproduzenten anfangen, sich gegenseitig zu unterbieten, haben sie auf dem Weltmarkt keine Chance; wir müssen nach aussen hin gemeinsam auftreten; unsere mittelgrossen Molkereien wären andernfalls längt von Nestlé oder sonstwem geschluckt worden. Deswegen haben wir dem Zusammenschluss eine Sondererlaubnis erteilt. Die Mitgliedschaft ist für die Bauern freiwillig, es gibt drei weitere kleinere Milchkooperativen, so dass im Inland durchaus Wettbewerb herrscht. Kooperativen spielten in Neuseeland schon immer eine grosse Rolle. Auch Obstbauern tun sich für Marketing und Vertrieb zusammen – die Kiwis unter Zespri, die Äpfel unter Enza.

Es ist also legitim, wenn ein Staat seine Industrien vor den rauhen Winden der Weltwirtschaft zu schützen versucht? Tut Europa mit seinen Subventionen für die Landwirtschaft nicht genau das?

Der Unterschied ist der, dass wir die Landwirtschaft als Industrie betrachten, während sie in Europa eher als Naturpflege gesehen wird. In Anbetracht der Grössenordnung der Landwirtschaft in Europa ist das absurd. Länder wie die Schweiz sollten unterscheiden zwischen der Unterstützung ländlichen Lebens einerseits und der Landwirtschaft als Industrie andererseits, denn so wie es nun läuft, profitieren grosse Agrarbetriebe am meisten von den Subventionen. Und das ist unfair gegen alle anderen.

Wie steht es mit dem Recht eines Staates auf Selbstversorgung?

Das ist altes Denken – allerdings auch in der Psyche der Briten tief verankert. Aber wir müssen den Mechanismen im neuen Europa vertrauen.

Subventionen gehören also gestrichen. Welche weiteren Lehren haben Sie aus den Rogernomics gezogen?

Nicht Privatisierung ist das zentrale Thema, vielmehr geht es darum, Staatsunternehmen so zu organisieren, dass sie nicht nach politischen Kriterien geführt werden, sondern nach unternehmerischen. Neuseeland hat nie Fabriken nach sowjetischem Muster besessen, sondern bei uns ging es um Infrastruktur. Die Eisenbahn gehört zur Grundausstattung, sie ist ein natürliches Monopol. Auch die Airline hätte nicht privatisiert werden sollen, es ist schwer, mit einer Fluggesellschaft Geld zu verdienen. Aber wir vermarkten Neuseeland durch Air New Zealand, deswegen brauchen wir eine Fluggesellschaft, um im Tourismus Geld zu verdienen.

Welche Rolle spielt die nationale Identität in einer globalisierten Wirtschaft?

Wenn wir als Regierung die Kultur nicht fördern, enden wir als Vorstadt von Los Angeles, Sydney oder Frankfurt. Aber wir haben unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Europäischer Lebensstil in Neuseeland ist anders als in Europa, Maori gibt es nur hier.

Offensichtlich bedarf es immer wieder der Ermutigung, des Appells an dieses Nationalbewusstsein?

Jemand muss dafür Sorge tragen, dafür Raum schaffen, und dabei geht es letztlich auch um Geld. Warum werden in Neuseeland in letzter Zeit so viele interessante Filme gedreht? Weil wir dafür bezahlen! Wir haben einen Fonds eingerichtet, der Drehbuchautoren und Filmemacher anlockt. Das Gleiche gilt für Musik. Wir stellen sicher, dass neuseeländische Kultur präsent ist. Wenn wir unsere eigene Kultur in Mode, Musik und Kunst zum Ausdruck bringen, gibt das den Menschen Sicherheit.

Fördern Sie die Kultur auch aus ökonomischen Gründen?

Ganz gewiss, denn ikonische Industrien wie Film haben einen Multiplikatoreffekt, der das Image eines Landes prägt, wovon wiederum Tourismus und Handel profitieren. Wir versuchen hier eine ganzheitliche Marke aufzubauen.

Nach den Reformen stand es schlecht um das gesellschaftliche Wohlbefinden. Das soziale Klima war rauh.

Das stimmt, es gab eine latente Aggression, und solche Spannungen in der Gesellschaft darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schauen Sie nur, was in Frankreich passiert: zehn Prozent Arbeitslosigkeit, konzentriert in Ghettos, da brennen die Städte. Und wenn Sie sich die Geschichte Deutschlands vor Augen führen, so war es in Zeiten von Armut und Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik, als Hitlers Stunde kam. Ein soziales Gefüge sollte sehr behutsam restrukturiert werden. So gesehen hatten wir in Neuseeland damals erstaunlich wenig Krawall.

Aber eine sehr hohe Jugendselbstmordrate.

Ich bin überzeugt, dass das mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu tun hatte. Junge sahen keine Zukunft. Seit sie wieder Hoffnung haben, ist die Rate zurückgegangen.

Ihre Politik stand von Anfang an unter dem Slogan «Closing the Gap» (Schliessen der Kluft).

Es ging sowohl um die Kluft zwischen Maori und weissen Neuseeländern als auch zwischen Arm und Reich. Was die Angleichung der Einkommen anbelangt, so müssen wir zusehen, dass unsere besten Leute im Land bleiben, aber auch im untersten Segment Jobs erhalten. Ein Instrument, trotz den Differenzen soziale Sicherheit zu gewährleisten, sind Steuererleichterungen für geringe Einkommen, Investitionen in Gesundheit und Ausbildung, Pensionen. Wir sind Sozialdemokraten, wir wollen keine Bettler auf der Strasse. Schauen Sie sich in Neuseeland um, Sie werden keine finden.

Anja Jardine ist NZZ-Folio-Redaktorin.

Elektrizitaet, Waerme und Wasser fuer alle

In Belgien gibt es ein einzigartiges Modell: Dort bekommt jeder eine Mindestmenge Energie und Wasser kostenlos. Das dient den Menschenrechten, der Umwelt und dem Bürokratieabbau.
Wäre der Kindstod von Sömmerda vermeidbar gewesen, wenn man der Mutter nicht den Strom abgeschaltet hätte? / Das Modell Belgien

Der allein erziehenden Mutter in Sömmerda wurde, als sie ohnehin mit dem Rücken an der Wand stand, der Strom abgestellt, was die Überforderung noch erheblich steigerte. Vor die Wahl gestellt, nun mit den schreienden Kindern in geschlossenen Räumen im Dunkeln zu leben oder sich dieser Tortur zu entziehen, entfloh sie zu einer Freundin und überließ die Kinder ihrem Schicksal. Dass die Entscheidung der Elektrizitätswerke die Straftat der Mutter und den Tod des Kindes wesentlich beförderte, kann kaum bestritten werden. Kann oder muss man sogar von einer Mitschuld der Elektrizitätswerke am Tod des Kindes sprechen?

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Micha Hilgers, kritisierte, dass das Jugendamt die Mutter mit den kleinen Kindern in die dunkle Wohnung zurückschickte, statt ihr die Kinder wegzunehmen. Der Mutter allein oder einem alten Menschen könnte man den Strom also abstellen? Auf dass ein 80-Jähriger hinfällt und sich das Nahezu-Todesurteil eines Oberschenkelhalsbruchs zuzieht? Will die Gesellschaft, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Leben derart „teilbar“ ist?

Ist es akzeptabel, dass die GASAG in Berlin, wie geschehen, bei 10 Grad minus Außentemperatur einer alten Frau wochenlang das Gas abstellt, weil sie die Rechnung nicht bezahlen kann? Welche Möglichkeiten hat eine derart in die Enge getriebene Frau? Emotional und real? Die Scham angesichts dieser Entscheidung der Versorgungswerke grenzt die Handlungsoptionen enorm ein. Mit welcher plausiblen Begründung könnte sie sich für den Rest des Winters bei Freunden oder Bekannten einquartieren? Wen könnte sie um Zahlung der Schulden bitten? Im Berliner Fall kapselte die Frau sich ab und versuchte die fehlende Raumwärme mit Hochprozentigem zu ersetzen. Was die Situation erst recht zur Eskalation brachte.

Die entscheidende Frage ist, ob Verbraucher und Gesetzgeber ein Mindestmaß an Wasser, Elektrizität und Wärme als Teil des Rechts auf menschenwürdiges Leben ansehen, das die Verfassung jedem garantiert.

Der belgische Sozialist und Umweltminister Bruno Tobback hat in Belgien ein System eingeführt, das die OECD als weltweit bestes Modell sozialen Ressourcen-Managements bezeichnet. Beispiel Wasser: Jeder bekommt pro Kopf eine Mindestmenge kostenlos. Der Verbrauch über dieses Mindestmaß hinaus ist dagegen sehr teuer und finanziert den Verbrauch der Mindestmengen insgesamt (den der Armen und der Reichen) mit.

Dieses System hat vier Vorteile:

-Niemandem wird Strom oder Wasser abgestellt, die Mindestmenge für menschenwürdiges Leben ist garantiert.

-Da höherer Verbrauch sehr teuer ist, enthält das System einen starken Anreiz zu ressourcenschonendem Verhalten.

-Da Arme innerhalb des Kontingents nicht belastet werden, ist es möglich, nach und nach alle Umweltkosten in die Preise zu internalisieren.

-Das System erfordert keinerlei bürokratischen Aufwand, sondern würde die Ämter in Deutschland vermutlich sogar entlasten.

Sowohl sozial- als auch umweltpolitisch ist die Einführung dieses Modells sehr wünschenswert. Wenn es im Zuge der Hartz-Gesetze politisch möglich war, Höchstgrößen für Wohnungen festzulegen, dann sollte es ein Leichtes sein, Mindestmengen für Wasser, Strom und Wärme festzulegen und für alle dauerhaften Zugang sicherzustellen.

Übrigens sollte man auch überlegen, ob die zunehmende Zahl isoliert lebender Menschen einen kostenlosen Festnetzanschluss in allen Wohnungen notwendig macht, damit alte Menschen, Verletzte oder Kinder zumindest einen Notdienst rufen können. Bei erwiesener Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit kann man technisch alle anderen Wahlmöglichkeiten außer dem Rettungsdienst kappen. Die deutsche Gesellschaft altert, aber anders als heute werden in 20 Jahren unter den Alten sehr viele Arme sein. Menschen, die sich kein Handy leisten können. Viele 40- bis 60-Jährige leben zudem gewollt oder ungewollt heute so, dass sie absehbar im Alter ohne Verwandte und sogar ohne engen Freundeskreis sein werden. Die Zahl isolierter Menschen wird zunehmen: Selten gesehene Hausbewohner, bei denen niemand bemerkt, dass ihre Situation auf Grund der Entscheidung profitorientierter Versorgungswerke immer „prekärer“, d. h. menschenunwürdiger wird.

Interessant ist die Frage, weshalb die Verbraucherzentralen sich bisher für Modelle wie das belgische nicht stark machen. Leider fungieren sie – noch mehr als Gewerkschaften – als Interessenvertretungen der Privilegierten. Derer, die verbrauchen können und die möglichst hohe Qualität für ihr Geld wollen. Wann treten sie auch für die Zugangsrechte derer ein, die nicht verbrauchen können?

Die Verbraucherzentralen hätten die Macht, die Einführung des belgischen Modells enorm zu beschleunigen. Sie müssten lediglich eine Aufklärungskampagne mit Zahlungsboykott organisieren. Schließlich gibt jeder, der zulässt, dass Vattenfall, EnBW, GASAG und andere Versorgungsdienstleister monatlich abbuchen, damit stillschweigend seine Zustimmung zu deren Geschäftpraxis, Zahlungsunfähigen den Netzanschluss zu kappen. Ein einmonatiger Verbraucherboykott könnte ein weiteres Sömmerda bedeutend unwahrscheinlicher machen.

Der jetzige Zustand aber befördert, dass Eltern in menschenunwürdige Situationen gestellt und überfordert werden, so dass Kinder sterben. Der jetzige Zustand befördert, dass alte Menschen an Alkoholvergiftung sterben. Dass sie sich vor Verzweiflung aufgeben und still verdursten oder verhungern, weil sie nur noch im Bett liegen und bewusst nichts mehr zu sich nehmen.

Auch zur Weihnachtszeit 2006 wird es diese Todesfälle, Selbstaufgaben und stillen Selbstmorde geben, für die die Gesellschaft insgesamt und der Gesetzgeber die Verantwortung tragen.

STEFANIE CHRISTMANN

URL: http://www.frankfurter-rundschau.de/in_und_ausland/politik/meinung/standpunkte_aus_der_zeitung/?em_cnt=1037888
Letzte Änderung am 22.12.2006 um 18:27:04 Uhr
Erscheinungsdatum 23.12.2006

Neue Publikation: Bolivien

„Die Plünderung ist vorbei“. Boliviens Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie von Thomas Fritz

Am 1. Mai 2006 machte die bolivianische Regierung international Schlagzeilen. Symbolträchtig verkündete Präsident Evo Morales die Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie. „Die Plünderung der natürlichen Ressourcen ist vorbei“, rief er auf dem Gasfeld San Alberto im Süden Boliviens. Während auf den Maiveranstaltungen im ganzen Lande dieser Akt bejubelt wurde, gab sich die internationale Gemeinschaft besorgt. Die Demokratie sei in Gefahr, die Rechtssicherheit ohnehin, und das Land könne nur verlieren, so der Tenor. Die internationale Presse wiederum sorgte sich um die steigenden Energiepreise. Ihre bange Frage: Ist die Energieversorgung noch sicher, wenn in immer mehr Lieferländern der „Ressourcennationalismus“ um sich greift?

Über die Hintergründe, die zur bolivianischen Nationalisierung führten, gab es jedoch wenig zu erfahren. Weder wurde die Vorgeschichte noch die Reichweite dieses Schritts deutlich. Auch über die Hindernisse, die sich der neuen Regierung in den Weg legen mussten, war wenig zu lesen. Mit seiner neuen Veröffentlichung möchte das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Das FDCL-Hintergrundpapier schildert sowohl die sozialen Auseinandersetzungen, die zur Nationalisierung vom 1. Mai führten, als auch die aktuellen Widerstände, mit denen sich die Regierung konfrontiert sieht. Neben Analysen des Nationalisierungsdekrets und der verschiedenen Druckmittel der Petrofirmen bietet das Papier einen kritischen Blick auf die Schattenseiten der Öl- und Gasproduktion: die zunehmende Rohstoffabhängigkeit und die Zerstörung der Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften. Mit der Nationalisierung stellt sich auch in Bolivien die Frage nach einem Entwicklungsmodell „jenseits von Öl und Gas“.

Mehr und Ihaltsverzeichnis beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL)

Konferenz: Sachzwang Privatisierung?

Strategien zur Verteidigung öffentlicher Güter in Europa

mit:
Oskar Lafontaine (Vorsitzender der Fraktion Die Linke. im Bundestag)
Sahra Wagenknecht (MdEP)
Harald Wolf (Wirtschaftssenator des Landes Berlin)
Francis Wurtz (Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL im Europaparlament)
Dr. Werner Rügemer (Journalist und Buchautor)
Prof. Dr. Jörg Huffschmid (Universität Bremen)
Veronika Hannemann (Ver.di Bezirk Berlin, Fachgruppe Wasser)
Alexis Passadakis (Attac, Weed)
Benedict Ugarte Chacón (Initiative Berliner Bankenskandal)
Dr. Klaus Lederer (Vorsitzender der Linkspartei.PDS Berlin, angefragt)

Samstag, 7. Oktober 2006
im Europahaus, Unter den Linden 78, Berlin

Sachzwang Privatisierung?
Ob Wasser oder Energieversorgung, Krankenhäuser oder Verkehrsbetriebe, Post oder Bahn, Sozialwohnungen oder Schulen – es gibt kaum einen Bereich, der vom Privatisierungswahn der letzten 15 Jahre verschont geblieben ist. Dass mehr und mehr öffentliche Güter zur Ware werden, ist einerseits die Folge der neoliberalen Politik der EU-Kommission. Zum anderen sind durch Steuergeschenke an Reiche und große Unternehmen Haushaltslöcher entstanden, die durch den Verkauf des „Tafelsilbers“ wieder gefüllt werden sollen.
Was kann man gegen den Verkauf öffentlichen Eigentums und die Kommerzialisierung sozialer Leistungen tun und wie kann man die Rekommunalisierung privatisierter Betriebe vor Ort durchsetzen? Wir laden herzlich dazu ein, mit ExpertInnen aus Politik, Wissenschaft und sozialen Bewegungen über diese Fragen zu diskutieren. Ziel ist es, anhand von konkreten Beispielen (Berliner Wasserbetriebe, Berliner Sparkasse) die Hintergründe und Folgen von Privatisierungen aufzuzeigen und Strategien zur Rekommunalisierung privatisierter Betriebe zu entwickeln.

Programm:

13 – 15 Uhr:
Droht die Privatisierung von Sparkassen und welche Alternative gibt es?
mit Harald Wolf, Prof. Dr. Jörg Huffschmid, Benedict Ugarte Chacón

15 – 17 Uhr:
Lokale Proteste gegen Privatisierung und Strategien der Rekommunalisierung am Beispiel der Berliner Wasserbetriebe
mit Dr. Werner Rügemer, Alexis Passadakis, Veronika Hannemann, Dr. Klaus Lederer (angefragt)

17.30 – 19.30 Uhr
Von Frankreich lernen? Der Kampf gegen Deregulierung und Privatisierung in der EU
mit Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Francis Wurtz

Um Anmeldung wird gebeten.

Telefon: +32-2-28-45619 (Brüssel) oder 030-227-70419 (Berlin)
mailto:Sahra.Wagenknecht@europarl.europa.eu
http://www.sahra-wagenknecht.de

Pressespiegel: Trubel in der Linken um Privatisierungspolitik

Tagesspiegel, 04.07.2006
Für PDS-Realos ist Lafontaine ein Problem. Staatsverständnis ist einer der Streitpunkte
Von Matthias Meisner
Berlin – In der PDS wächst die Sorge, dass Oskar Lafontaine in einer vereinigten Linken zu mächtig werde könnte. Mehrere prominente Landes- und Bundespolitiker verständigten sich unter der Überschrift „Abschied und Wiederkehr“ auf einen „Aufruf aus der PDS zur neuen Linkspartei“. Das Papier verzichtet zwar auf eine direkte Abrechnung mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion. In einer ganzen Reihe von Punkten gehen die Unterzeichner aber auf Abstand zu Positionen Lafontaines, die dieser vor wenigen Wochen im Gründungsmanifest für eine vereinigte Linkspartei durchgesetzt hatte. Unter dem Einfluss Lafontaines könnte die neue Linkspartei programmatisch zurückfallen, heißt es aus dem Kreis der Autoren. Streitpunkte sind unter anderem das Staatsverständnis der neuen Linken, aber auch die Haltung zu Regierungsbeteiligungen. Unterzeichner des Papiers sind unter anderem die Landesvorsitzenden aus Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Klaus Lederer, Thomas Nord und Matthias Höhn, daneben dem Reformflügel zuzurechnende Bundespolitiker wie Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, Vizeparteichefin Katina Schubert und der Berliner Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich. Für die Klausurtagung der 53 Bundestagsabgeordneten, die am Montag in Rostock-Warnemünde begann, liefert das Papier Zündstoff. Lafontaine streitet für eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, kämpft kategorisch gegen den Abbau des öffentlichen Dienstes. Die Autoren des PDS-Papiers, das dem Tagesspiegel vorliegt, werben dagegen für mehr Differenzierung, stellen die Bedeutung des Kompromisses in der politischen Auseinandersetzung heraus: Es reiche heute „nicht aus, nur auf den Staat, seine Gesetze und sein Geld zu schauen“. Das Versagen der Reformpolitik erkläre sich auch „aus dem fehlenden innovativen Unterbau in der Gesellschaft, aus der alleinigen Verantwortungszuweisung an den Staat“. Der Aufruf erinnert auch an die Erfahrungen der PDS in Parlamenten und Landesregierungen, ein „großer Vorteil“, den man hart erarbeitet habe.
Schon in der jüngsten Vergangenheit hatte es mehrere kritische Wortmeldungen gegeben. Sachsen-Anhalts PDS-Chef Höhn sowie der dortige Fraktionsvorsitzende Wulf Gallert – Mitunterzeichner auch des neuen Papiers – hatten in Lafontaines Gründungsmanifest „keine tragfähige Basis“ für eine Vereinigung erkannt. Die Gefahr des inhaltlichen Scheiterns sei „sehr real“, sagte Gallert dem „Neuen Deutschland“. Thomas Falkner, früherer Leiter der Strategieabteilung in der Parteizentrale, warnte, die Preisgabe der „alten PDS“ und die „Überforderung der WASG“ würden die „große historische Chance“ der neuen Linken zerstören. Zusammen mit der brandenburgischen Fraktionschefin Kerstin Kaiser kritisierte Falkner, die Linkspartei sei derzeit „faktisch nicht beziehungsweise nur unter großen internen Störungen“ regierungsfähig.

Junge Welt 08.07.2006, Titel, Seite 1
Privat zum Sozialismus
Rainer Balcerowiak
Geht es nach dem Willen von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, dann wird sich die Linkspartei.PDS an einer von der WASG und anderen Gruppen geplanten bundesweiten Antiprivatisierungskampagne im Herbst nicht beteiligen. In einer jW vorliegenden Beschlußvorlage, die am Montag im Parteivorstand abgestimmt werden soll, heißt es klipp und klar: »Die Forderung ›keine Privatisierung‹ resp. ›Den Privatisierungswahn stoppen‹ ist in dieser Form nicht für eine politische Kampagne geeignet, weil zu unbestimmt und abstrakt.« Zudem kollidiere die geplante Kampagne mit den für diesen Zeitraum geplanten bundesweiten Aktionen für einen gesetzlichen Mindeslohn, die bis November durchgeführt werden sollen. Doch in dem Antrag von Bartsch wird deutlich, daß es keinesfalls um terminliche Mißhelligkeiten geht. In den zur Begründung formulierten »Thesen zum weiteren Umgang mit diesem Politikfeld« wird die bisher von der Bundespartei und auch der Bundestagsfraktion formulierte strikte Ablehnung von Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Frage gestellt: »Privatisierungsbestrebungen von Bund, Ländern und Kommunen haben (…) auch einen Ansatzpunkt im realen Zustand der öffentlichen Haushalte, der öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen Unternehmen.« Statt einer undifferenzierten Antiprivatisierungshaltung müsse die Partei »Positiv- und Negativkriterien« für den Verkauf öffentlichen Eigentums entwickeln.
Dem Autor dürfte die Brisanz seines Vorstoßes klar sein. In der Partei und auch aus den Reihen der WASG gab es in den letzten Wochen und Monaten massive Kritik am Verhalten von Kommunal- und Landespolitikern der Linkspartei.PDS besonders in Dresden und Berlin. In der sächsischen Landeshauptstadt stimmte eine Mehrheit ihrer Fraktion dem Komplettverkauf der städtischen Wohnungen zu. In Berlin haben mitregierende Sozialisten unter anderem einer Gesetzesnovelle zur Renditegarantie für die privatisierten Wasserbetriebe zugestimmt, in der die Kalkulationsgrundlagen für vereinbarte Preiserhöhungen zum »Geschäftsgeheimnis« erklärt und somit der Kontrolle der Abgeordneten entzogen werden. Auch das Gesetz zur Sparkassenprivatisierung kommt aus dem Haus eines Linkspartei.PDS-Senators. Diese neoliberale politische Praxis hatte unter anderem Oskar Lafontaine intern und öffentlich scharf kritisiert, und auch die gemeinsame Linksfraktion im Bundestag hat sich in Erklärungen – zuletzt auf einer Fraktionsklausur in dieser Woche – mehrheitlich gegen weitere Privatisierungen ausgesprochen. Da will Bartsch offensichtlich gegensteuern. In der Linken und in seiner Partei sei »durchaus streitig, inwieweit der Staat Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge selbst erbringen muß und inwieweit er ihre Erbringung gewährleisten muß.« Kontroversen gebe es auch in der Frage »inwieweit die Antwort auf Markt und Profitdominanz zwingend öffentlicher Dienst, administrative Regulative und öffentliches Eigentum sein müssen«. Das Parteiprogramm der Linkspartei.PDS stelle »nicht eine bestimmte Eigentumsform in den Mittelpunkt«. Denkbar sei außer öffentlichem Eigentum auch »progressive Entstaatlichung« als »notwendiger Teil einer Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus«. Man darf gespannt sein, ob der Parteivorstand am Montag der Idee, mittels Privatisierungen zum Sozialismus zu kommen, mehrheitlich folgen wird.

Lnkszeitung.de, 09.07.2006
WASG plant bundesweite Kampagne gegen Privatisierung Gegen Verschleuderung öffentlichen Eigentums
Berlin (ppa). Felicitas Weck und Thomas Händel, geschäftsführende Bundesvorstandsmitglieder der WASG, haben jetzt ihre Absicht bekundet, gemeinsam mit Linkspartei, GlobalisierungskritikerInnen, Sozialverbänden und Gewerkschaften gegen die Privatisierung Front zu machen. „Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muss jetzt endlich Schluss gemacht werden“, so Weck und Händel am Sonntag. Die WASG habe bereits eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung beauftragt und lädt die Linkspartei zu einem Arbeitstreffen ein, Möglichkeiten, Anforderungen und Realisierung einer Kampagne „Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums“ in Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse der Linkspartei.PDS und der WASG zu bestimmen und diese Kampagne im Rahmen des Parteibildungsprozesses zu führen. Erste Beratungen sollen noch im Juli stattfinden. In einem Brief an den Parteivorstand der Linkspartei.PDS wird betont, dass der Kampf gegen Privatisierungen ein Kampf für die Schwächsten, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit und damit ein zentrales Markenzeichen linker Politik weltweit ist. Mit dieser Kampagne könne ferner der Parteibildungsprozess weiter politisiert und über die Mitgliedschaften beider Parteien hinaus erweitert werden.
Die WASG hatte auf ihrem Bundesparteitag im April u.a. die Kampagne „Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums“ beschlossen. Ähnlich beschloss die Linkspartei.PDS auf ihrem zeitgleichen Bundesparteitag in Halle/S. eine Kampagne „Privatisierungswahn stoppen – Öffentliche Daseinsvorsorge erhalten“.

Tagesspiegel, 10.07.2006
Linkspartei zankt um Privatisierung
Berlin – Zum zweiten Mal binnen weniger Tage versucht der Reformerflügel der PDS, die Partei auf mehr Realitätssinn einzuschwören. In einer Vorlage für die Sitzung des Parteivorstands an diesem Montag in Berlin schlägt Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch vor, auf eine geforderte Kampagne gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums zu verzichten. In dazu von ihm vorgelegten Thesen wirbt er in der Debatte für ein undogmatisches Vorgehen. In der Linken selbst sei die Haltung zur Rolle öffentlichen Eigentums „nicht unumstritten, sondern differenziert“. Bartsch schreibt: „Streitig ist durchaus, inwieweit der Staat Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge selbst erbringen muss und inwieweit er ihre Erbringung gewährleisten muss.“
Indirekt geht Bartsch mit seinem Vorstoß auch auf Distanz zum Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine. Schon vor der Klausur der Bundestagsfraktion vergangene Woche in Rostock hatten führende Landespolitiker Lafontaines Staatsbegriff kritisiert. Im von Lafontaine durchgesetzten Gründungsmanifest für eine vereinigte Linkspartei heißt es, die Linke wolle „Schluss machen mit einer Politik, die das öffentliche Vermögen verkauft und damit die Bevölkerung enteignet“. Statt einer „neoliberalen Privatisierung“ wolle sie eine staatliche und kommunale Verantwortung für Bildung und Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung, für Stadtentwicklung und Wohnungen, für öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie für wichtige Teile der Kultur. Bartsch hingegen argumentiert, auch eine „progressive Entstaatlichung“ könne notwendiger Teil einer „Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus sein“.m.m.

Junge Welt, 10.07.2006
Abgeschrieben*: WASG will bundesweite Kampagne gegen Privatisierung starten
* Wir dokumentieren in Auszügen eine Medieninformation des Bundesvorstandes der WASG vom Sonntag: Der Bundesvorstand der WASG hat nachdrücklich seine Absicht bekräftigt, eine bundesweite Kampagne gegen Privatisierung zu starten. Felicitas Weck und Thomas Händel, geschäftsführende Bundesvorstandsmitglieder der WASG unterstrichen ihre Absicht gemeinsam mit Linkspartei, Globalisierungskritikern, Sozialverbänden und Gewerkschaften gegen die Privatisierung Front zu machen. »Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muß jetzt endlich Schluß gemacht werden«, so Weck und Händel am Sonntag.
Die WASG habe bereits eine Arbeitsgruppe mit der Vorbereitung beauftragt und lädt die Linkspartei zu einem Arbeitstreffen ein, Möglichkeiten, Anforderungen und Realisierung einer Kampagne »Für eine solidarische Gesellschaft – gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums« in Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse der Linkspartei.PDS und der WASG zu bestimmen und diese Kampagne im Rahmen des Parteibildungsprozesses zu führen. Erste Beratungen sollen noch im Juli stattfinden. In einem Brief an den Parteivorstand der Linkspartei.PDS wird betont, daß der Kampf gegen Privatisierungen ein Kampf für die Schwächsten, für Demokratie, für soziale Gerechtigkeit und damit ein zentrales Markenzeichen linker Politik weltweit ist. Mit dieser Kampagne könne ferner der Parteibildungsprozess weiter politisiert und über die Mitgliedschaften beider Parteien hinaus erweitert werden. (…)

Neues Deutschland, 11.07.2006, URL: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=93383&IDC=2
Linkspartei will mit Kampagne warten
WASG drängt auf Aktion gegen Privatisierung Von Tom Strohschneider
Zwischen Wahlalternative WASG und Linkspartei gibt es Unstimmigkeiten über Termin und Ausrichtung einer Kampagne gegen Privatisierungen. Der Vorstand der Linkspartei hat gestern bei einer Gegenstimme beschlossen, eine bundesweite Kampagne gegen Privatisierungen nicht vor Abschluss der Aktivitäten für einen Mindestlohn vorzubereiten. Mit dem Start entsprechender Aktivitäten ist demnach nicht vor 2007 zu rechnen. In einer von PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch eingereichten Vorlage heißt es, »zwei Kampagnen gleichzeitig lassen sich nicht führen«. Außerdem seien die Forderungen »Keine Privatisierungen« bzw. »Den Privatisierungswahn stoppen« für eine politische Kampagne »zu unbestimmt und abstrakt«, also nicht geeignet. Der Vorstand möge stattdessen weiterhin regionale Aktivitäten und kommunale Kampagnen politisch und materiell unterstützen.
Darüber hinaus war in dem Papier darauf hingewiesen worden, dass »die Haltung zur Rolle öffentlichen Eigentums« auch in der Linken »nicht unumstritten« sei, etwa mit Blick auf Rolle und Aufgaben des Staates. Die »grundsätzliche Position« der Linkspartei bleibe davon aber unberührt. Der Parteivorstand müsse jedoch praxistaugliche Kriterien weiterentwickeln, so das Papier. Nach dessen Bekanntwerden hatte sich die WASG-Spitze am Wochenende in einem Brief an den PDS-Vorstand gewandt und nochmals die Notwendigkeit einer Anti-Privatisierungs-Kampagne bekräftigt. Die WASG strebt einen Kampagnen-Start im November an. Der Bundesvorstand hatte bereits Anfang Juli eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Aktion »Für eine solidarische Gesellschaft – gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums« vorbereiten soll. Erste gemeinsame Beratungen, so das Angebot an die Sozialisten, könnten am 15. Juli stattfinden. Die Linkspartei-Spitze gab gestern grünes Licht für die Teilnahme an diesem Gespräch, sieht aber noch weiteren Klärungsbedarf.
In der WASG-Spitze zeigte man sich gestern irritiert – nicht zuletzt, weil es in der Vorlage Bartschs heißt, Initiativen für eine Kampagne seitens des WASG seien der Linkspartei nicht bekannt. Zum Zeitpunkt, zu dem die Beschlussvorlage des PDS-Geschäftsführers verfasst wurde, hatte die WASG-Spitze ihre Arbeitsgruppe zwar noch nicht gebildet. Jedoch hätte man dies, so die Kritik, jederzeit – etwa während der Fraktionsklausur in der letzten Woche – in Erfahrung bringen können.

Junge Welt, 11.07.2006, URL: http://www.jungewelt.de/2006/07-11/038.php
Basis watscht Bartsch ab
Jörn Boewe
Dietmar Bartsch fand es gar nicht witzig. Eigentlich hatte der Geschäftsführer der Linkspartei.PDS gehofft, der Vorstand würde am Montag seinen Antrag, eine geplante Antiprivatisierungskampagne fallenzulassen, ohne viel Aufsehen durchwinken. Aber nach den zahlreichen wütenden Protestmails und Anrufen vom Wochenende war ihm schon klar, daß das schwierig werden würde.
Die Kampagne findet doch statt, aber nicht vor 2007. Auf diese salomonische Lösung verständigte sich der Parteivorstand am Montag nachmittag. Zur Vorbereitung wird ein gemeinsamer Arbeitskreis mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) gebildet, an dem für die Linkspartei die Vorstandsmitglieder Sahra Wagenknecht und Harald Werner beteiligt sein werden. Auf ihrem Bundesparteitag Ende April in Halle hatte die Linkspartei beschlossen, gemeinsam mit der WASG im Herbst eine »Kampagne zum Stopp des Ausverkaufs öffentlichen Eigentums und zur Zurücknahme der unsozialen Privatisierungspolitik im Bereich der Daseinsvorsorge« zu führen. Doch die Gegenoffensive des Apparats ließ nicht lange auf sich warten. Wie jW am Sonnabend berichtete, hatte Linkspartei-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch in einem Antrag an den Parteivorstand gefordert, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Vordergründig argumentierte er, man könne neben der bereits laufenden Aktion zum Thema Mindestlohn keine zweite Kampagne führen. Wenn die im November beendet sei, stünde der Parteibildungsprozeß auf der Agenda und nicht eine neue Kampagne. In den Thesen, mit denen Bartsch seinen Antrag untermauerte, wird indes deutlich, daß es um mehr geht, nämlich um eine ideologische Rechtfertigung der Privatsierungspolitik, die Linksparteifunktionäre nicht nur in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in zahlreichen Kommunen betreiben. Nahegelegt wird, daß Privatisierung ein Weg zur »Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen« sei. Unstrittig sei lediglich, daß die Linke Privatisierung »nicht aktiv« initiieren und vorantreiben solle. Während die Linksparteiführung das leidige Problem erstmal in einen Arbeitskreis verschoben hat, hält die Schwesterpartei WASG das Thema nach wie vor für zentral. »Mit der Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur kurzfristigen Etatsanierung muß jetzt endlich Schluß gemacht werden«, hatten die WASG-Bundesvorstandsmitglieder Felicitas Weck und Thomas Händel in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung gefordert. In einem Brief an den Linksparteivorstand hatte die WASG Ende letzter Woche vorgeschlagen, noch im Juli mit Arbeitstreffen zur Vorbereitung der Kampagne zu beginnen. »Privatisierung der Daseinsvorsorge greift in wesentliche demokratische Rechte ein«, bekräftigte Felicitas Weck die WASG-Position gestern gegenüber jW, »Wir können uns nicht immer stärker von Konzernen unter Druck setzen lassen.«

Transformation netzgebundener Infrastrukturen und sozial-oekologische Entwicklung der Geschlechterverhaeltnisse

Ein kritischer Blick auf die Privatisierung im Bereich Verkehr (EU-Politiken zu „gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ bzw. öffentlichen Dienstleistungen, sog. Bahnreform/Regionalisierung des ÖPNV etc.) zeigt: Sobald es um finanzstarke Sektoren bzw. netzgebundene Infrastrukturen geht, von denen alle abhängig sind und die erhebliche Auswirkungen auf jeden Alltag und Haus-/Versorgungsarbeit haben, finden sich keine feministischen Analysen, keine Daten oder vertiefenden Erkenntnisse aus der Perspektive der Gender Studies.
Eine der wenigen Ausnahmen: Anfang 2005 legte Meike Spitzner vom Wuppertal-Institut eine systematische Untersuchung im Verkehrsbereich für Deutschland und ein Gender-Analyse-Konzept für die Privatisierung von Infrastrukturen vor. Auch die Privatisierungen im Bereich Energie, Wasser und Telekommunikation lassen sich damit kritisch analysieren.

Spitzner, Meike (2004): Netzgebundene Infrastrukturen unter Veränderungsdruck – Gender-Analyse am Beispiel ÖPNV. Untersuchung zur sozial-ökologischen Regulation netzgebundener Infrastruktursysteme: Transformationen des Öffentlichen Personennahverkehrs und sozial-ökologische Entwicklung der Geschlechterverhältnisse“. Untersuchung im Auftrag des Verbundforschungsprojekts „Sozial-ökologische Regulation netzgebundener Infrastruktursysteme“ des Forschungsverbunds netWORKS im BMBF-Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“, Themenschwerpunkt 2 „Sozial-ökologische Transformationen im Ver- und Entsorgungssektor (STRIVE)“. Schriftenreihe NetWORKS-Papers Nr.13. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik (Difu). ISBN 3-88118-384-1.

Es gibt die Studie zum download. Weitere Studien auf der einer und einer zweiten Publikationsliste.

Meike Annamarie Spitzner ist Projektleiterin der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik und zuständig für die wissenschaftliche Koordination „Gender“ am Wuppertal Institut für Klima•Umwelt•Energie GmbH im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen und erreichbar per Telefon (++49-202-2492-151 (Sekr: -184) (Fax: -263)) und per email.

Studien zur Privatisierung

Das Global Policy Network hat fünf kritische Studien zur Privatisierung publiziert:

  • Zur Privatisierung der Stromversorgung in Bolivien und El Salvador sowie in Südafrike
  • Zur Privatisierung (vor allem der Petrochemie) in der Türkei und
  • zur Privatisierung der Gesundheitsversorgung in Bulgarien.

Drei der Studien sind Datenanhänge beigefügt. (Dank dem Hinweis in der ppg-Liste!)

Kommentar der anderen: Rettet das soziale Europa

Markt schlägt Staat: eine simple Formel der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung – von Josef Weidenholzer
Die Welt ist ein einziges Einkaufszentrum geworden. Aus Durst wird weltweit Coca Cola, wie das Ivan Illich einmal ausgedrückt hat. Es werden aber nicht nur Gebrauchsgüter gehandelt. Sondern auch „öffentliche“ Güter: Also die Versorgung der Menschen mit Energie, kollektive Transportmittel, Postdienste, Telekommunikation, Radio und Fernsehen, Bildung, ja sogar soziale Dienstleistungen. Alles deutet darauf hin, dass die letzten Widerstände schwinden und sich diese Entwicklung wie eine gigantische Flutwelle über den Globus verbreitet. Die Nationalstaaten stehen dem Phänomen machtlos gegenüber, die Staatsmänner und -frauen wirken, als seien sie gelähmt.
Verlust an menschlicher Substanz
Markt schlägt Staat: Auf diese simple Formel, lässt sich die Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts bringen. Die Menschen reagieren zwiespältig. Zunächst genießen sie ihre Stellung als Konsumenten einer bislang ungeahnten Vielfalt von Produkten. Aber viele Zeitgenossen fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie fühlen instinktiv, dass die allgegenwärtige Ökonomisierung ihres Alltags zu einem Verlust an menschlicher Substanz und zur Aufgabe persönlicher Eigenart führt. Die Gesellschaft scheint zu Ich-AGs zu mutieren, nichts anderes als den eigenen Nutzen maximierend und das Heil im kurzfristigen Erfolg suchend. Die Mitbürger und Mitbürgerinnen sowie die Umwelt geraten so zu vernachlässigbaren Größen. Marktwirtschaft pur eben. Aber die Menschen streben nach sozialer Sicherheit, und nur eine funktionierende soziale Absicherung wird die Akzeptanz der Europäischen Union in der europäischen Bevölkerung heben.
Und das europäische Sozialmodell?
Ja, es gibt das viel zitierte europäische Sozialmodell, aber nur als Kanon gemeinsamer Werte. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Systeme, zu unklar sind die Vorstellungen der Regierenden. Sound of Europe klingt wie ein miserabel dirigiertes Orchester, die Töne sind kakophonisch.
In der Typologie europäischer Sozialstaatlichkeit unterscheiden wir drei Idealtypen. Der residuale Wohlfahrtsstaat ist eine angelsächsische Erscheinung und verdient eigentlich nur eingeschränkt das Label Wohlfahrtsstaat, da die staatliche Sozialpolitik bloß als Ergänzung marktmäßiger, familiärer oder karitativer Aktivitäten gesehen wird. Der korporatistische Wohlfahrtsstaatstyp in Kontinentaleuropa versteht sich im Gegensatz dazu als subsidiär. Überall dort, wo der Markt, die Familie oder Gemeinschaften nicht in der Lage sind, soziale Risken abzusichern, tritt der Staat in die Verantwortung.
Nordische Sozialmodelle
Der universalistische Wohlfahrtsstaat ist das hervorstechende Merkmal der nordeuropäischen Staaten. Zielvorstellung ist ein hoher Standard hinsichtlich sozialer Sicherung zu erreichen. Merkmale dieses Typus sind neben der starken Rolle des Staates ein großes Volumen an staatlichen Transferzahlungen und die Priorität der Beschäftigungspolitik für jede Regierung. Südeuropa hat auch auf Grund der verspäteten Industrialisierung keine spezifische Sozialstaatlichkeit herausgebildet und Osteuropa ist noch immer ganz wesentlich von den Problemen des Übergangs zur Marktwirtschaft geprägt.
Vieles spricht dafür, dass Nordeuropa zum Vorbild für die künftige europäische Sozialpolitik werden könnte. Auch die EU-Bürokratie beginnt sich seit einiger Zeit der Vorzüge des nordischen Wegs bewusst zu werden.
Komplexer Zusammenhang
Entgegen neoliberaler Meinungsmache ist der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleistung und sozialer Sicherung ein sehr komplexer, der sich nicht durch simplifizierende Zurufe, a la „wer weniger für Soziales ausgibt, hat von vornherein eine bessere Wettbewerbsposition“, erklären lässt. So weist etwa der Index des World Economic Forum, der die Wettbewerbsfähigkeit misst, unter den Top 10 acht Staaten mit einem Anteil von über 25 Prozent Sozialausgaben am BIP aus. Spitzenreiter ist Finnland, auf den Plätzen drei, fünf und sechs folgen Schweden, Dänemark und Norwegen, Österreich nimmt den 17. Rang ein.
Kein Widerspruch
Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik stehen eben nicht grundsätzlich im Widerspruch. Ganz im Gegenteil, wie man im Norden Europas sieht, stellt Sozialpolitik einen wichtigen Produktivfaktor dar. Ein europäische Sozialmodell, das seinen Namen verdient, garantiert Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, es verhindert die Spaltung der Gesellschaft, indem es soziale Grundrechte sichert und es trägt dazu bei, den Europagedanken bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas zu verfestigen. Was die Vision eines friedlichen Europas, ohne Krieg und Grenzen für das ausgehende 20. Jahrhundert bedeutete, das soll die Vision eines europäischen Sozialmodells für das beginnende 21. Jahrhundert sein. Die Volkshilfe und ihre Partner geben allen Menschen die Möglichkeit, sich dafür einzusetzen. Im Rahmen der Kampagne „Save Our Social Europe“ können die BürgerInnen Europas 7 Punkte für ein soziales Europa unterstützen, mit ihrer Unterschrift auf www.soseurope.org.

Quelle: Der Standard, 28.02.2006
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Josef Weidenholzer ist Vizepräsident des europäischen Netzwerkes „solidar“, Präsident der Volkshilfe Österreich und Sozialwissenschafter an der Universität Linz

Ausverkauf stoppen

Etwa 200 Privatisierungsgegner versammelten sich am Sonnabend zur Konferenz »Privatisierung in Berlin« im Schöneberger Gewerkschaftshaus an der Keithstraße. Die ganztägige Veranstaltung war von der Berliner Mietergemeinschaft organisiert und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert worden.
Alle Redner verlangten einen Stopp des Ausverkaufs der kommunalen Wohnungen und des Gesundheitswesens sowie einen Rückkauf der Berliner Wasserbetriebe. Am Ende der Debatten stand eine Resolution gegen weitere Privatisierungen und Partnerschaften der Kommune mit Privat-Unternehmen. Die Entschließung wurde von fast allen Anwesenden unterschrieben.
Zuvor kamen in Einzelreferaten ausschließlich Vertreter von Antiprivatisierungspositionen zu Wort. »Die anderen artikulieren sich aller Orten«, begründet Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft die einseitige Auswahl. Damit war jedes Streitgespräch im Voraus ausgeschlossen worden.
Aus der Politik waren zwar Gerlinde Schermer und der Abgeordnete Hans-Georg Lorenz eingeladen, die beide der »Donnerstagskreis« genannten SPD-Linken angehören, aber keine Genossen der Linkspartei.PDS. »Tut mir leid, so etwas wie einen Donnerstagskreis habt ihr nicht zu bieten«, spottete Oellerich.
Unter Beschuss stand immer wieder Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS), der selbst Abgeordneten den Einblick in die Verträge des Senats mit den Wasserbetriebs-Teileignern RWE und Veolia verweigere und sich dabei auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen als geltendes Recht berufe.
Im Gegensatz dazu verlangte der Regionalforscher Christian Zeller von der Universität Bern öffentliche Kontrolle als Form der Demokratie. Zellers Vorschläge waren weit gefasst, gingen bis hin zur Rekommunalisierung der Post, der Bahn, der Energieversorger und aller anderen für das gesellschaftliche Leben notwendigen Dienste im europäischen Rahmen. »Man muss mehr auf internationaler Ebene denken«, forderte der Wissenschaftler. Wie das praktisch und lokal umzusetzen ist – die Antwort darauf blieb die Konferenz an vielen Stellen schuldig.
Einen Zahlungsboykott der Wasserrechnungen, wie vom Wasserwirtschaftsingenieur Philipp Terhorst in London vorgeschlagen, ist in Deutschland schon deshalb kaum umzusetzen, weil die Be- und Entwässerung bei den meisten Menschen Teil der Miete ist. Die um die Wasserkosten gekürzte Miete könnte schnell als Mietrückstand gelten und zur Räumungsklage führen.
Aber aus einigen Wortmeldungen des Publikums sprach sowieso die Angst vor Vertreibung aus der Wohnung durch eine allgemeine Preisexplosion und die neuen Hartz IV-Gesetze.
Matthias Busse, Neues Detschland, 13.02.2006

kurz erklaert VI: Was sind eigentlich oeffentliche Gueter?

Öffentliche Güter sind Güter, Dienstleistungen und Zustände, für deren Herstellung, Verteilung und Sicherung die Gesellschaft verantwortlich ist. Der Zugang zu öffentlichen Gütern soll grundsätzlich allen Mitgliedern einer Gesellschaft, unabhängig von ihrem Einkommen, offen stehen.
Zu den öffentlichen Gütern können Güter des materiellen Grundbedarfs wie Energie und Wasser sowie soziale, kulturelle und Bildungsdienste gehören – aber auch persönliche Sicherheit, Frieden, saubere Umwelt, Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Was ein öffentliches Gut ist, wird nicht durch stoffliche Eigenschaften, sondern durch politische Entscheidungen bestimmt, denen gesellschaftliche Wertungen, Interessen und Kräfteverhältnisse zugrunde liegen. Im Umfang, der Qualität und der Differenzierung der öffentlichen Güter und in der Bereitschaft, diese aus den öffentlichen Haushalten zu finanzieren, kommt das herrschende Selbstverständnis einer Gesellschaft und der Grad der innergesellschaftlichen Solidarität als Gegenpol zur einzelwirtschaftlichen Konkurrenz zum Ausdruck.
Die „Öffentlichkeit“ der öffentlichen Güter erfordert es, dass der politische Prozess, in dem über sie entschieden wird, transparent und demokratisch verläuft.
Die jüngste weltweite Privatisierungs- und Liberalisierungswelle hat die öffentlichen Güter unter starken Druck gesetzt. Dies wurde zum einen durch bürokratische Strukturen und Ineffizienz bei ihrer traditionellen Bereitstellung durch staatliche Apparate und zum anderen durch das Austrocknen der öffentlichen Haushalte gefördert.
Öffentliche Unternehmen sind mittlerweile vielfach durch private Bereitstellung unter öffentlicher Aufsicht ersetzt worden. Die Regulierung privat erbrachter öffentlicher Dienstleistungen ist jedoch schwierig, kostspielig und vielfach ineffizient.
Öffentliche Güter sind im Rahmen von Nationalstaaten entwickelt worden und bilden in deren Rahmen die Grundlage des sozialen Zusammenhalts und ein wichtiges Gegengewicht zur Marktkonkurrenz.
Die neoliberale Globalisierung hat zu scharfen internationalen Polarisierungen, Konflikten und Gefährdungen großer Teile der Menschheit geführt. In der Kritik hieran und in den gesellschaftlichen Gegenbewegungen hierzu ist der Begriff der globalen öffentlichen Güter entstanden.
Aus der taz vom 19.7.2004, S. 9, Autor: JÖRG HUFFSCHMID
Das Lexikon entsteht in Kooperation mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac und erscheint jeden Montag.

Privatisierung in Pakistan

Aasim Sajjad Akhtar gibt im Monthly Review (Okt 05) einen Überblick über den Stand der Privatisierung in Pakistan. Auf das Beispiel der Pakistanischen Telefongesellschaft PTCL geht er dabei näher ein und arbeitet genau heraus, wie gezielt Unternehmen privatisiert werden, die bereits vor der Privatisierung wirtschaftlich arbeiten. Er geht besonders auf die Rolle der pakistanischen Linken bei diesem Prozess und den Kämpfen dagegen ein.

Gericht gibt gruenes Licht fuer Stadtwerke-Verkauf in Duesseldorf

dpa-Meldung vom 15.12.2005
Düsseldorf – Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht hat am Mittwochabend grünes Licht für eine Privatisierung der Düsseldorfer Stadtwerke gegeben. Der Stadtrat dürfe an diesem Donnerstag über den weiteren Verkauf von Stadtwerke-Anteilen entscheiden, sagte ein Gerichtssprecher. Das laufende Bürgerbegehren stehe dem nicht entgegen. Die SPD und ein Ratsmitglied hatten zusätzlichen Informationsbedarf geltend gemacht. Nach Ansicht des Gerichts war dieser Bedarf aber nicht ausreichend juristisch untermauert worden. Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) will weitere 25 Prozent der Stadtwerke für 361 Millionen Euro an den Energieversorger EnBW verkaufen. Derzeit hält die Stadt noch 50,1 Prozent der Anteile. Der Energieversorger EnBW besitzt bereits 29,9 Prozent der Anteile. Vor vier Jahren hatte ein Bürgerbegehren den Verkauf der Anteilsmehrheit verhindert. Nach Angaben der Initiative „Mehr Demokratie“ haben sich in den vergangenen Tagen erneut 100 000 Düsseldorfer gegen eine Privatisierung ausgesprochen. Am Mittwoch signalisierten die Stadtwerke Krefeld großes Interesse am Kauf des Anteilspakets. „Der Kaufpreis würde sich rechnen“, sagte Vorstandssprecher Martin Cirener und stellte den Düsseldorfern sichere Arbeitsplätze und niedrige Energiepreise in Aussicht.

Buerger verhindern aehnliche Privatisierung. Stadtwerke-Verkauf: Muehlheim bei Offenbach und Muelheim/Ruhr behalten Versorgung in staedtischer Hand

Das derzeit heiß diskutierte Thema der 49-Prozent-Beteiligung eines Privatunternehmens wie Eurawasser an den Stadtwerken könnte Kreise über die Parlamentsebene hinaus ziehen. Im Umfeld der Kandidatenaufstellung für die Liste Die Linke/Liste Solidarität zur Kommunalwahl im März wurde das Stichwort dazu bereits genannt: Bürgerentscheid. Eine solche Abstimmung der Bürger zum gleichen Anliegen wurde gerade am Sonntag in der Stadt Mühlheim (Kreis Offenbach) durchgeführt – mit Erfolg für die Gegner einer Teilprivatisierung. Bei einer Wahlbeteiligung von 42 Prozent stimmten 97 Prozent der Bürger dafür, „dass die Stadt Mühlheim alleinige Gesellschafterin der Stadtwerke Mühlheim am Main GmbH bleibt“.
Mit diesem Ergebnis war der Bürgerentscheid erfolgreich, da das Quorum einer Mindestwahlbeteiligung von 25 Prozent erfüllt und die Mehrheit der Stimmberechtigten sich im Sinne der Gegner ausgesprochen hatte. Heinz-Jürgen Krug, Sprecher der Attac-Regionalgruppe Rüsselsheim, die ebenfalls vor dem hier geplanten Schritt einer Teilprivatisierung der Stadtwerke warnt, verweist in einer Mitteilung auf ein weiteres Beispiel, nämlich Mülheim/Ruhr. Dort wurde mit knapperer Mehrheit im Sinne der Antragsteller entschieden: Die Zahl der Ja-Stimmen lag nur um 248 über den geforderten 27 187 (20 Prozent der Wahlberechtigten).
An der Ruhr soll bei Änderung bestehender wie Gründung neuer städtischer Gesellschaften die Übertragung von Gesellschaftsanteilen an Private verhindert werden. Einbezogen waren dort fast alle öffentlichen Bereiche der Daseinsvorsorge, von Abwasser über Energie, Nahverkehr und Gebäudeunterhaltung bis zu Altenheimen und Stadtbücherei. Dem Thema Privatisierung war auch eine Veranstaltung eines Bündnisses von Gewerkschaften, Attac und des Evangelischen Dekanats gestern Abend im Gemeindesaal der Stadtkirche gewidmet (Bericht folgt). (bje)
Quelle: http://www.echo-online.de/suedhessen/template_detail.php3?id=339969