Berlin, 5.4.14: Tagesseminar zur Produktion überflüssiger Menschen und ihren Folgen

Die „Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft“ laden am 5. April 2014 zu 11 Uhr ein zum „Tagesseminar zur Produktion überflüssiger Menschen und ihren Folgen“ in den Blauen Salon im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Berlin.

In ihrer Einladung heißt es:

Ohne eigentumslose, zur Lohnarbeit verdammte Klasse kein Kapitalismus. Marx sprach ironisch von der »ursprünglichen Akkumulation des Kapitals«, um die gewaltsame Trennung der Bauern vom Land zu beschreiben. Diese Entwicklung dauert bis in die Gegenwart fort, allerdings mit einem gravierenden Unterschied zur Geschichte Europas: Immer seltener folgt auf die Proletarisierung eine einigermaßen geregelte Lohnarbeit, immer häufiger eine Existenz als Teil der globalen Überschussbevölkerung, die sich irgendwie durchschlagen muss. Weiterlesen

Braindrain und Antiziganismus in Europa

bdEin lesenswerter Artikel in der heutigen Berliner Zeitung darüber, wie das Problem der Armut nicht nur in Rumänien und Bulgarien umgedeutet wird zu einem Roma-Problem. Vor allem der Hinweis auf den Braindrain (z.B. gut ausgebildeter MedizinerInnen) aus den armen in die reichen europäischen Länder verdient Hervorhebung:

Beide [Deutschland und Großbritannien; ME] haben für Rumänen und Bulgaren ihren Arbeitsmarkt erst am 1. Januar ganz geöffnet. Vor Jahren aber schon sind für gefragte Berufsgruppen – vor allem Ärzte und Krankenpflegepersonal – alle Barrieren gefallen. Personalagenturen werben die Medizin-Absolventen an, organisieren ihnen den Papierkram und den Deutschkurs, suchen eine Stelle und eine Wohnung. Ganze Jahrgänge gehen beinahe geschlossen nach Westen. Die Gebliebenen müssen für 200 Euro im Monat doppelt schuften. Rumänien hat die niedrigste Ärztedichte Europas und bildet für das reiche Deutschland die Mediziner aus. Das Motto ist: Die Ärzte sollen kommen, aber deren mögliche Patienten sollen bleiben, wo sie sind.

So wird aus dem Recht auf Freizügigkeit das Recht der reicheren EU-Länder, sich aus dem Potenzial der Zuwanderer die Rosinen herauszupicken – der angeblichen Einwanderung in die Sozialsysteme steht ein tatsächlicher Export des Ärzte- und Pflegermangels gegenüber. Quelle

Dieser real existierende massenhafte „Diebstahl“ gut ausgebildeter Fachkräfte durch die BevölkerungspolitikerInnen und HumanressourcenmanagerInnen der reichen europäischen Länder steht im Kontrast zu einem der antiziganistischen Standardvorurteile (vgl. hierzu z.B. einen einschlägigen Artikel in der aktuellen MALMOE), das den Roma Kindesentführungen andichtet. In diesem Kontrast strahlt die neo-koloniale Scheinheiligkeit auf, die die innereuropäischen Verhältnisse zunehmend prägt.

Ärmliche Tricks

A Bottle
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Beruf: Flaschensammler, aus jeder Lohn- und Armutsberechnung raus. (Ersteres zu seinem Glück?)

… werden in der statistischen Berechnung von Armut und Reichtum gerne angewandt. Ganz beliebt ist die Konstruktion eines deutschen Wirtschaftsbooms bei sinkenden Arbeitslosenzahlen. Unbeliebt ist die Frage, warum die Wirtschaft boomt, aber immer mehr Menschen arm sind und/oder von Armut betroffen sein werden. Ungern wird der Zusammenhang von Wirtschaftsboom mit der Ausbeutung von Arbeitskraft bei Hungerlöhnen hergestellt. Helga Spindler beschreibt in einem Gespräch mit Reinhard Jellen auf Telepolis welche Funktionen die Armutslöhne und Armutsberechnungen für den deutschen Wirschaftsboom und die aktuellen Mindestlohndebatten haben.

Wenn Armut zum Beispiel hauptsächlich mit Arbeitslosigkeit verbunden wird, dann scheint die beste Gegenstrategie darin zu liegen, Menschen in Arbeit zu bringen.
In welche Arbeit zu welchen Löhnen ist dann kein Thema und schon scheint Armut erfolgreich bekämpft.

Das ganze Gespräch lesen.

Inflation? Hängt vom Klassenstandpunkt ab!

korbDie taz bringt es kurz und anschaulich auf den Punkt: Die regelmäßig veröffentlichten Inflationszahlen sind für ganze Bevölkerungsgruppen irrelevant, wenn nicht sogar falsch und damit irreführend und ideologisch verkehrt.

Bei der Berechnung der Verbraucherpreise gewichten die Statistiker faktisch die Bedürfnisse von Wohlhabenden stärker als die von Armen. Wer arm ist, muss mit einer weit höheren Preissteigerungsrate leben. Die Kluft zwischen amtlicher Preissteigerung und persönlicher Inflation liegt im sogenannten Warenkorb verborgen. In diesen packen Fachleute des Statistischen Bundesamtes (Destatis) alles hinein, was der vermeintliche Durchschnittsbürger so ge- und verbraucht … Zweifelhaft ist ebenfalls die Gewichtung langlebiger Konsumgüter wie Autos: Auch der „Kauf von Fahrzeugen“ landet nämlich im Warenkorb – mit dem dreifachen Gewicht von „Gemüse“! Doch während die Preise für Kartoffeln, Möhren und Paprika in diesem verregneten Sommer teilweise über 40 Prozent zulegten, blieben die Preise für Kauf und Betrieb von Kraftfahrzeugen nahezu gleich. … Studien von Sozialwissenschaftlern zeichnen jedoch ein gänzlich anderes Verbraucherverhalten im unteren Einkommensdrittel: … die Ausgaben für Energie und Nahrungsmittel sind „unten“ in der Gesellschaft weit höher, als es die amtliche Statistik nahelegt. Doch gerade diese Posten gelten als Preistreiber.“

Mobil gegen Armut

unrast-logo_sr_13x14.5_CS3Es gibt verschiedene Möglichkeiten für eine Gesellschaft, mit der Armut ihrer Mitmenschen und den eigenen Verarmungsängsten umzugehen. Eine in der BRD immer wieder sehr verbreitete Umgangsform ist die rassistische Stigmatisierung derjenigen, die am schlechtesten dastehen oder die als „andere“ stigmatisiert werden können. Eine sehr „gewöhnliche“ und daher selten problematisierte Form, der Antiziganismus, ist massiv ausgeprägt.

Spiegel online schreibt:

Eine Studie belegt, dass jede_r vierte Deutsche will, dass Roma aus deutschen Innenstädten verbannt werden, jede_r zweite glaubt, dass die Roma eine Neigung zur Kriminalität haben. Ein unbeliebtes Thema, diese Roma.

Das empfehlenswerte 2009 erschienene Buch „Antizigane Zustände“:

Antiziganismus ist ein weit verbreitetes und virulentes Phänomen, das in den westlichen Gesellschaften tief verankert ist. In nahezu allen Staaten Europas werden Menschen als »Zigeuner« diskriminiert und teilweise verfolgt.

Das Buch beschreibt den europaweiten Antiziganismus, die allgegenwärtige Stigmatisierung durch Politik, Wissenschaft und Medien, bewegt sich durch Geschichte und Gegenwart und geht auf die Analogie zum Antisemitismus ein.

Wer, wie, was, wieso und weshalb?

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Fragen Sie sich auch manchmal, warum die einen immer mehr Geld haben und die anderen immer weniger? Und das, obwohl letztere immer mehr arbeiten, sich immer mehr anstrengen, den Gürtel immer enger schnallen; sich also immer mehr in Bescheidenheit üben, nur um dann am Ende doch noch wieder zum Amt gehen zu müssen?

Das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsforschungsinstitut für Makroökonomie und Konjunkturfoschung IMK hat hingeschaut und die letzten 20 Jahre zusammen betrachtet. Die Bereiche Haushaltsnettoeinkommen, die gestiegen sind, Armutsgrenze, die gestiegen ist, oder Bruttoerwerbseinkommen, die leicht gefallen sind, werden beleuchtet. Ein Begriffsglossar hilft auch Nicht-Ökonom_innen zu verstehen, wo die Probleme liegen.
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Armut und existenzielle Perspektivlosigkeit als Flucht- und Migrationsgründe

Armut und MigrationWarum werden Armut und existenzielle Perspektivlosigkeit nicht als Flucht- und Migrationsgründe in Europa anerkannt? Dem mit dieser Leitfrage verbundenen Fragenbündel will das Grundrechtekomitee mit einem Studientag nachgehen. Weltweit versuchen Millionen von Menschen unerträglichen Lebensbedingungen, die durch Armut, Zerstörung der Umwelt und der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen und Gewalt bestimmt sind, zu entkommen. Die Chancen für diejenigen, die aus den Randzonen der Globalisierung migrieren, in einem europäischen Land Aufnahme zu finden, sind äußerst gering. Denn „Armut und Zukunftslosigkeit“ werden nicht als legitime Fluchtgründe anerkannt. Die europäischen Staaten behalten sich zudem das Recht vor, darüber zu entscheiden, wer in ihr Land einreisen, sich dort aufhalten und niederlassen darf und wer nicht. Diese „Staatensouveränität“ und ihre zugehörige „Staatsbürgerschaft“ sind Teil der Produktionsbedingungen „illegaler Migration“, die in Europa zugleich aufwendig und folgenreich bekämpft wird.

StudientagFlyer und Programm (PDF)
Sonntag, 29. September 2013 | 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Frankfurt | Heinrich-Heine-Str. 3 | SAALBAU Frankfurt-Nied | Clubraum 5

Welche Kräfteverhältnisse brauchen wir zur Reichtumsumverteilung?

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Coverbild: Javi S&M CC BY-SA

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift LuXemburg widmet sich dem Thema Reichtum, der ungleichen Verteilung unter allen Menschen und der Folgen für die Zugänglichkeit öffentlicher Güter und demokratischer Gesellschaften.

Mit der Austrocknung des Öffentlichen verschiebt sich außerdem der Zugang zu den Grundlagen eines guten Lebens: Gesundheit, Bildung, Wohnen – und die Verteilung von Arbeit und Zeit, auch zwischen den Geschlechtern. Umverteilung findet nicht nur von unten nach oben statt, sondern auch innerhalb einer Klasse: Gender-Pay-Gap und Elterngeld –  aber auch von kleinem zu großem Kapital.

Es wird der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen und Bündnisse ein linkes Projekt für eine faire Umverteilung und garantierte Zugänglichkeit öffentlicher Güter braucht: zur Leseprobe und zum Online-Artikel „Umverteilen und Neuverteilen“ von Horst Kahrs. Und am Rande geht es sogar über Umverteilung hinaus unter dem Schlagwort „Occupy Lenin“ (nur im gedruckten Heft) um die Reorganisation der Produktion.

Diagnose Gesundheitssystem

lux_argu_GesundheitSich zu Geburtstagen und zum neuen Jahr Gesundheit zu wünschen, ist allgemein üblich – und in der BRD heutzutage leider auch bitternötig, wenn das eigene Einkommen im unteren und untersten Niveau angesiedelt ist. Das lesenswerte Heft „Gesundheit ist eine Ware“ von Nadja Rakowitz, herausgegeben von der Rosa Luxemburg Stiftung, setzt sich mit der aktuellen Gesundheitspolitik, deren Mythen und der Klassenversorgung auseinander.

Soziale Ungleichheit fördert Krankheit. Je geringer die sozialen Differenzen innerhalb der Gesellschaft sind, desto besser ist die soziale und gesundheitliche Situation aller. Armut erhöht das Krankheitsrisiko massiv und kann einen großen Teil der gesundheitlichen Ungleichheit in der Bevölkerung erklären“. Gesundheit ist ein Ware, 33

Geschuftet und doch nichts auf Tasche

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Heinrich Klaffs

Altersarmut ist auf diesem Blog kein neues Thema. Dennoch soll ein Aspekt Erwähnung finden, der bisher unter den Tisch gefallen ist: Gastarbeiter_innen sind dreimal öfter von Altersarmut betroffen als Rentner_innen nicht-migrantischer Herkunft. Die Hans Böckler Stiftung hat bei einer Untersuchung herausgefunden, dass

Gastarbeiter […] oft wenig verdienten und stark von Arbeitslosigkeit betroffen waren. So waren 2011 in Deutschland 41,5 Prozent der Ausländer über 65 Jahren von Altersarmut bedroht, 12,7 Prozent bezogen Grundsicherung. Unter den Senioren mit deutscher Staatsangehörigkeit waren nur 2,1 Prozent darauf angewiesen.

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Presse für Arm und Reich

Die Idee zu untersuchen, wie der bundesdeutsche Journalismus die Themen Reichtum und Armut kommentiert, entstand Anfang 2011. Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz untersuchten, wie und wie intensiv die Redakteure der Ressorts Politik und Wirtschaft von vier ausgewählten Tageszeitungen mit ihren Kommentaren dieses Themenfeld begleiten. Es handelt sich um die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Süddeutsche Zeitung (SZ), die Berliner Zeitung und den Tagesspiegel. Analysiert haben wir zudem die gesamte Berichterstattung in Der Spiegel und Die Zeit zu diesem Themenfeld. Die Studie „Portionierte Armut, Blackbox Reichtum“ lesen

Sozial und Großbritannien kennen sich nicht

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Creative Commons License Christian Baltrusch

Die britische Regierung kürzt den Sozialhaushalt und legt Sparpakete auf. Ganz so, wie es in anderen europäischen Ländern auch passiert. Und das, obwohl es auf der Insel weder Euro gibt, noch Druck von Außen gemacht wird. Dennoch wird unter anderem eine Schlafzimmersteuer eingeführt: Wer ein leeres Zimmer hat und in einer Sozialwohnung lebt, muss dafür nun mehr Geld abgeben.

Rund eine Million Haushalte sind betroffen, in zwei Dritteln davon lebt ein Mensch mit Behinderung. […] Die Sozialhilfe wird in den kommenden Jahren nicht mehr wie bisher um die Inflationsrate steigen, sondern um lediglich ein Prozent. Ausgenommen davon ist die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen. Diese Maßnahme betrifft 9,5 Millionen Familien. Sie spart dem Staat 505 Millionen Pfund im ersten Jahr und in drei Jahren nach Berechnungen der Regierung rund 2,3 Milliarden Pfund (Süddeutsche Zeitung 3.4.2013).

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Umverteilung nach unten

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Billige Salamipizza: Nichts gegen einzuwenden, aber auch nicht viel drin CC BY-SA rob_rob2001

Am Dienstag, den 14. Mai d. J., wurde der neue Haushalt von Israels neugewähltem Finanzminister Yair Lapid (Yesh Atid/Es gibt eine Zukunft) im Kabinett verabschiedet. Der Entwurf setzt die neoliberale Kürzungslogik der vergangenen Jahre unverändert fort. Lapids Änderungsversprechen hinsichtlich der wirtschaftlichen Krise sind als Wahlkampftaktik entlarvt.

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