Waffenbrüder

Matryoshka
Marcell Dietl

Wenn in Zusammenhang mit der aktuellen Krimkrise von einem neuen Kalten Krieg die Rede ist, dann stimmt das in einer Hinsicht: Die alte antikommunistische Hetze der Westalliierten und der BRD-Eliten ist wiederauferstanden und hat sich zur ganz alten antirussischen Hetze weiterentwickelt. Sie reitet so flache wie falsche Angriffe etwa auf die ja tatsächlich unblutige Wiederaneignung der Krim durch Russland, während sie den aktuellen Anlaß dieser Teilung der Ukraine ausblendet: das jahrelange Buhlen des von Westeuropa gesteuerten neoliberalen Wirtschaftsbündnisses um die Erweiterung seiner Einflussphäre durch den Beitritt bzw. die Ausschlachtung der Ukraine (anhand der Ukraine und anderer Fälle lässt sich ein Muster EU-europäischer Außenpolitik erkennen). Dass letzteres nicht ohne einen Systemwechsel dort und damit einen ernsthaften Interessenkonflikt mit Russland zu haben sein würde, war von Anfang an klar. Aber nicht nur das fällt unter den Tisch. Die Propaganda verschweigt darüber hinaus auch verschiedenste wirtschaftliche Interessen der Westeuropäer am russischen Markt.

„Verschweigen“ ist hier nicht wörtlich zu verstehen, sondern in dem Sinne, wie das etwa Noam Chomsky in „Manufacturing Consent“ für die Funktionsweise von Propaganda in demokratischen Systemen gezeigt hat: Nonkonforme Themenbereiche und Sichtweisen werden abgetrennt und bestenfalls irgendwo im Kleingedruckten kurz gemeldet, während mit interessierten Plattheiten per massenmedialem Sperrfeuer der Blick auf das eigentliche Geschehen und die zugrunde liegenden Ursachen versperrt bleibt. Daher verdienen es diese Kurzmeldungen, hervorgehoben und in den Zusammenhang gestellt zu werden. Am Beispiel von Frankreichs Rüstungsindustrie wird die Perfidie besonders deutlich, wenn von einem Waffenembargo schwadroniert wird. In der Berliner Zeitung ist zu lesen:

Beim Kriegsgerät ist Frankreich derzeit von allen europäischen Ländern am besten mit den Russen im Geschäft. Und zwar vor allem wegen der Hubschrauberträger vom Typ Mistral. Sie sind Aushängeschilder der französischen Rüstungsindustrie. […] Für das ökonomisch angeschlagene Frankreich freilich stünde wegen der Dimension des Mistral-Geschäfts einiges auf dem Spiel.

Die Arbeitslosenquote und der westliche wirtschaftliche Aufschwung, u.a. aus der viel besprochenen Krise, hängt also auch am Waffenbedarf Russlands. Und moderne Waffen werden nicht im Museum ausgestellt, sondern von allen Nationen dieser Welt für ihre nationalen Interessen benutzt. Putins Lächeln lässt sich also auch als Ausdruck von Souveränität sehen – angesichts der Tatsache, dass er die BRICS-Staaten mit Brasilien, Indien, China und Südafrika als machtvolle Verbündete hinter sich sieht, kann er die ihm mit symbolischem Getöse aus dem Westen verordnete G8-Pause wohl gut verkraften.

Die BRICS-Länder repräsentieren 42 Prozent der Weltbevölkerung und ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung. (Telepolis)

Auch wenn es mit Blick auf die Verfasstheit der Massenmedien in demokratischen Systemen – nämlich als privateigentumsförmige Betriebe zur Erwirtschaftung und Maximierung von Profit, bzw. bei den öffentlich-rechtlichen: als bürokratische Betriebe zur Herstellung und Abgrenzung des staatspolitisch legitimen „Meinungskorridors“ – ein naiver Wunsch bleibt: Es täte doch gut, wenn nicht auch noch die meisten Nachrichtenmedien falsches, flaches und geschmackloses Gerede der gewählten oder ernannten Politiker*innen wiedergeben, sondern dies wenigstens auf Interessenlagen zurückführten, oder auch mal – nur versuchsweise und vorübergehend – die Perspektive wechseln, damit erste Schritte in Richtung guter, nämlich kritischer Berichterstattung unternehmen würden und so einfach mal ihrem eigenen hehren Anspruch gemäß vernünftige Arbeit ablieferten.

 

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