Armutsbericht: BAMS statt BMAS

Der „Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales“ für den „3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ über „Lebenslagen in Deutschland“ vom 19.Mai 2008 zirkuliert zunächst als Kurzfassung (der Teil A des Berichts) und mittlerweile auch in Gänze. Die Präsentation verdient eine eigene kurze Betrachtung.

Im Unterschied zu den Vorläufern, deren vorbereitende breite interne und auch öffentliche Debatte weitgehend nachvollziehbar war, ist dies hier nicht der Fall gewesen. Auf der Website des BMAS ergibt die Suche nach „Armutsbericht“ die Antwort: Sind Sie sicher, dass Sie Ihr Schlagwort „Armutsbericht“ richtig geschrieben haben?“ Auf der Site des BMAS gibt es bislang (21.5.08) weder den Entwurf noch die Materialien noch die vorgängigen Studien, die Grundlage des Berichts waren und die im Falle anderen Berichte im Netz frei zugänglich waren. Der Bericht selbst zählt einen Beraterkreis und das Wissenschaftliche Gutachtergremium auf (S.261f.), nicht aber deren Interventionen / Positionen bzw. die Stellungnahmen und Gutachten.

Statt dessen findet sich – widerum auf der Website des Ministeriums (BMAS) – ein Interview des Bundesministers Olaf Scholz mit der „Bild am Sonntag“ (BAMS). BAMS titulierte dieses mit „Jeder achte Deutsche lebt in Armut!“, BMAS dagegen präsentiert dieses Interview mit der Überschrift „Der Sozialstaat wirkt“. Diese Schönrederei der Ergebnisse der Studie war verbunden mit mit leichtfüßigem Umgang mit statistischen Basisdaten, der von dem DIW, aber auch den Grünen zu Recht kritisiert wurde: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nutze eine Datengrundlage, die weder aktuell noch aussagekräftig sei. Mit Zahlentricks werde die bedrückende Wirklichkeit verschleiert. Die vom Arbeitsminister herangezogene Datenbasis des EU-SILC (EU Statistics on Income and Living Conditions) beruhe auf einer unzureichenden Datenbasis und sei nicht vergleichbar mit den Zahlen der letzten beiden Armutsberichte. „Würde man die bewährten und umfassenderen Daten des Sozioökonomischen Panels heranziehen, läge die Armutsquote 2006 bei 18,3 Prozent statt bei der von Scholz veröffentlichen 13 Prozent für 2005.“, so Kurth (Die Grünen). Die Wirkung des Sozialstaates ist unbestritten – aber dieser neoliberal ausgezehrte Sozialstaat verhindert offenbar nicht, dass die Armen in Deutschland immer ärmer – und immer mehr werden.

Die vorzeitige und in der Koalition nicht abgestimmte Publikation des Berichts durch den SPD-Minister (die Publikation sollte Mitte Juni erfolgen) hatte wie das vorhergehende monatelange Verschieben der Publikation des Berichts selbst den Zweck, eventuelle Kollateralschäden im Zusammenhang mit den Landtagswahlen dieses Jahres zu verhindern und aktuell das Schönreden der Ergebnisse in der Öffentlichkeit zu verankern. Das aber ist gelungen – Hunderte von Medien übernahmen die Lesart des Ministers – der DGB forderte wieder mal ein Sofortprogramm und dass sich Frau von Leyen beschwerte, war ähnlich hilflos.

Zur politischen Anlage des Berichts gehört, weiter, dass hinter die begrüßenswerte Behandlung der Situation von Menschen mit Behinderungen, „Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen“ und von „Menschen mit Migrationshintergrund“ die zentrale Frage der Einkommens- und Lohnsituation sowie -entwicklung in den Hintergrund gerückt wird. Endlich macht der Bericht den nach langen Jahren erreichten Fortschritt, nicht nur einen Armutsbericht zu publizieren sondern zugleich die Frage des Reichtums und seiner Entwicklung zu thematisieren wieder rückgängig. Im Unterschied zu den vorangegangenen Berichten handelt es sich hier faktisch nur um einen Armutsbericht – nur 8 der über 360 Seiten des Berichts befassen sich mit der Reichtumsfrage. Sie behandeln dabei zudem im wesentliche n relevante methodische und theoretische Fragen und bieten keine für ein breiteres Publikum verständliche Skizze der Reichtumssituation in Deutschland. Im Berichtsteil insoweit unerwähnt bleibt die immerhin auf S. 296 genannte tabellarische Notiz, dass die oberen zehn Prozent der Bevölkerung ihren Anteil am Vermögen in der BRD von 1998 44 % auf 56 % in 2002 steigern konnten, wogegen im selben Zeitraum der Anteil der unteren 50 % von 4 % auf 2 % sich halbierte. Wer nach einer im Diskussionsteil ignorierten Quintessenz des Berichts sucht, ist mit dieser Angabe zu den Ungleichheitseffekten des deutschen Kapitalismus ausreichend informiert.

Hinterlasse eine Antwort