Frankurt am Main: Mieterverein streitet mit US-Investoren

Fortress-Konzern will Mieten seiner Frankfurter Wohnungen deutlich erhöhen / So genannte Sozial-Charta sorgt für Unklarheiten.
Der US-Konzern Fortress besitzt außer in Dresden auch Wohnungen in der Rhein-Main-Region – 2000 allein in der Frankfurter Innenstadt. Möglich wurde dies durch die Privatisierung öffentlichen Wohnraums. Jetzt erleben die Mieter eine Überraschung.

Wer nach der Wortbedeutung geht, muss annehmen, eine Sozial-Charta sei eine Art rechtliche Urkunde, die der Gemeinschaft dient. Doch wenn es um Privatisierung öffentlichen Wohnraums geht, liegt der Fall etwas anders: Besagte Gemeinschaft sind die Mieter einer Siedlung in der Frankfurter Innenstadt, zwischen Fahrgasse und Konstablerwache, deren Wohnungen der Gagfah (Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten) gehören. Vor rund zwei Jahren verkauft die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ihre Gagfah-Mehrheitsbeteiligung an den US-Finanzinvestor Fortress, der somit zum Gagfah-Hauptgesellschafter wird. Nach wie vor ist jedoch die Gagfah in der Rolle des Vermieters. Am 30. September 2004 tritt die „Gagfah-Sozial-Charta“ in Kraft. Sie gilt für alle Mieter, die zu diesem Zeitpunkt in einer Gagfah-eigenen Wohnung leben. In dieser Charta sind neben Kündigungsschutz und Vorkaufsrechten auch „Mieterhöhungsbegrenzungen“ geregelt. In der „vereinfachten“ Version heißt es: „Der gesetzliche Mieterhöhungsspielraum wird für die Mietverhältnisse, die bereits zum 30.9.2004 in Bezug auf Wohnungen der Gagfah bestanden haben, für insgesamt 10 Jahre eingeschränkt. Mieterhöhungen werden im Gesamtdurchschnitt bis zum 30.9.2009 begrenzt auf die jährliche Veränderungen des Verbraucherpreisindexes zuzüglich 1,5 Prozentpunkte).“
Nur in den ausführlichen Charta-Bestimmungen steht der Passus: „Diese Regelung bezieht sich auf den Gesamtdurchschnitt der Mieten, die aufgrund der am 30.9.2004 bestehenden Mietverhältnisse zu zahlen sind. Es ist deshalb möglich, dass in Bezug auf einzelne Wohnungen die Miete stärker erhöht wird.“

Gagfah fordert Mieterhöhungen
Im Oktober 2005 verschickt die Gagfah Mieterhöhungsschreiben an jene Gemeinschaft, darunter die Eheleute S., die seit 1984 in der Siedlung wohnen. Für ihre 80-Quadratmeter-Wohnung in der Fahrgasse zahlen sie bis dato 444 Euro Kaltmiete. Die Gagfah fordert eine Erhöhung um 33,70 Euro – eine Steigerung von 7,59 Prozent, und bezieht sich auf „den derzeit geltenden Mietspiegel“. Den Eheleuten S. erscheint diese Miete als zu hoch und im Widerspruch zu der Sozial-Charta. Sie wenden sich, so wie einige andere Gagfah-Mieter, an den Frankfurter Verein „Mieter helfen Mietern“. Dieser schickt Ende 2005 einen „Widerspruch gegen die Mieterhöhung“ an die Gagfah, verweist auf die Sozial-Charta und gibt an, die Eheleute S. seien mit einer dem entsprechenden Mieterhöhung um 13,88 Euro – rund drei Prozent, berechnet aus Veränderungen des Verbraucherpreisindex‘ plus 1,5 Prozentpunkte – einverstanden. >br>
Jürgen Lutz, Vorstandsmitglied und Berater von „Mieter helfen Mietern“, erläutert: Durch die von der Gagfah geforderten Mieterhöhungen „verlöre die Charta ihre Funktion als Vertrag zu Gunsten Dritter, durch den die Mieter vor deutlichen Mieterhöhungen geschützt sein sollten“. Ein solcher Vertrag berechtigt einen Dritten, in diesem Fall den Mieter, eine vertraglich vereinbarte Leistung – auch per Rechtsweg – zu fordern.
Der Verein führt außerdem an, die Mieterhöhungsschreiben enthielten „keine Darlegung, wie hoch im Bundesdurchschnitt die Gagfah-Mieten in 2005 bereits erhöht worden waren bzw. welche Berechnungen vorliegen, mit denen der Durchschnitt überwacht wird“. Der Verein fordert Einsicht in die Mieterhöhungsbilanzen der Gagfah, Angabe des durchschnittlichen Mieterhöhungs-Prozentsatzes sowie „Mitteilung der Gründe“, die die Gagfah „dazu bewogen haben“, Mieten in der Innenstadt-Siedlung anzuheben. „Erst vor einem Jahr“ war dort die Miete „wegen einer baulichen Sanierungsmaßnahme erhöht worden“.
Im Gespräch erläutert Gagfah-Pressesprecher Peter Kummer gegenüber der FR: „Die Mieterhöhungen bewegen sich sowohl innerhalb des Rahmens der gesetzlichen Vorgaben als auch der Sozial-Charta. Der darin erwähnte ,Gesamtdurchschnitt‘ ergibt sich aus der Summe der Kaltmieten aller Wohnungen, die unter die Charta fallen, sei es in Hamburg, Berlin oder Frankfurt.“ Ob in die Berechnung Faktoren wie Qualität des Wohnumfelds, Wohnungsausstattung oder Infrastruktur mit einfließen, bleibt unklar.

Verein erhält kein „Prüfungsrecht“
In einem Schreiben, das der FR vorliegt, antwortet die Gagfah dem Mieter-Verein, es bestünden für ihn „keine weiteren Prüfungsrechte und schon gar keine Berechtigung, die Zustimmung zur begründeten Mieterhöhung unter Hinweis auf die Sozialcharta zu verweigern“. Weiter heißt es: „Bei dieser gegenüber den Mietern freiwilligen Beschränkung mietrechtlicher Möglichkeiten handelt es sich gerade nicht um eine vertragliche Vereinbarung, auch nicht um einen echten Vertrag zu Gunsten Dritter, der mit einem eigenen Anspruchsrecht des begünstigten Mieters verbunden wäre. Auf die Einhaltung der freiwilligen Mieterhöhungsbeschränkung werden Sie sich verlassen können und müssen.“
Die Eheleute S. zahlen zurzeit 457,88 Euro Kaltmiete, exakt den Betrag, den sie und der Mieter-Verein für angemessen halten. Die Gagfah hat ihnen eine Frist bis 17. März 2006 gewährt, ansonsten müssten sie damit rechnen, dass die Gagfah „auf Erteilung der Zustimmung“ zur Mieterhöhung klage.
Ist eine Sozial-Charta nun eine rechtlich bindende Vereinbarung oder eine freiwillige Selbstverpflichtung, aus der „Dritte“ jedoch keine Rechte ableiten können? Gagfah-Sprecher Peter Kummer lässt Spielraum für Interpretationen: „Der Kündigungsschutz für langjährige Gagfah-Mieter ist in die Mietverträge mit aufgenommen worden“, aber „natürlich“ seien alle anderen Charta-Punkte „ebenso bindend“.

Tanja Kokoska, Frankfurter Rundschau, 16.05.2006