Transformation netzgebundener Infrastrukturen und sozial-oekologische Entwicklung der Geschlechterverhaeltnisse

Ein kritischer Blick auf die Privatisierung im Bereich Verkehr (EU-Politiken zu „gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ bzw. öffentlichen Dienstleistungen, sog. Bahnreform/Regionalisierung des ÖPNV etc.) zeigt: Sobald es um finanzstarke Sektoren bzw. netzgebundene Infrastrukturen geht, von denen alle abhängig sind und die erhebliche Auswirkungen auf jeden Alltag und Haus-/Versorgungsarbeit haben, finden sich keine feministischen Analysen, keine Daten oder vertiefenden Erkenntnisse aus der Perspektive der Gender Studies.
Eine der wenigen Ausnahmen: Anfang 2005 legte Meike Spitzner vom Wuppertal-Institut eine systematische Untersuchung im Verkehrsbereich für Deutschland und ein Gender-Analyse-Konzept für die Privatisierung von Infrastrukturen vor. Auch die Privatisierungen im Bereich Energie, Wasser und Telekommunikation lassen sich damit kritisch analysieren.

Spitzner, Meike (2004): Netzgebundene Infrastrukturen unter Veränderungsdruck – Gender-Analyse am Beispiel ÖPNV. Untersuchung zur sozial-ökologischen Regulation netzgebundener Infrastruktursysteme: Transformationen des Öffentlichen Personennahverkehrs und sozial-ökologische Entwicklung der Geschlechterverhältnisse“. Untersuchung im Auftrag des Verbundforschungsprojekts „Sozial-ökologische Regulation netzgebundener Infrastruktursysteme“ des Forschungsverbunds netWORKS im BMBF-Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“, Themenschwerpunkt 2 „Sozial-ökologische Transformationen im Ver- und Entsorgungssektor (STRIVE)“. Schriftenreihe NetWORKS-Papers Nr.13. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik (Difu). ISBN 3-88118-384-1.

Es gibt die Studie zum download. Weitere Studien auf der einer und einer zweiten Publikationsliste.

Meike Annamarie Spitzner ist Projektleiterin der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik und zuständig für die wissenschaftliche Koordination „Gender“ am Wuppertal Institut für Klima•Umwelt•Energie GmbH im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen und erreichbar per Telefon (++49-202-2492-151 (Sekr: -184) (Fax: -263)) und per email.

Wasser

Die Rosa Luxemburg Stiftung bereitet für den Herbst eine Tagung vor, die sich am Beispiel Wasser mit dem Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Eigentum (Privatisierung / Öffentliche Güter) befassen wird. Mit gängigen ökonomischen Aspekten befasst sich ein Forschungspapier der Weltbank von 2004 und resümiert zwiespältige Ergebnisse. Das liberale Center for Global Development publiziert zugängliche Länderstudien zur Frage der Privatisierung und präsentierte 2005 eine umfassende Übersicht (Reality Check) über die Verteilungseffekte von Privatisierungen in Entwicklungsländern. World Development Movement und Public Services International veröffentlichten im März 2006 eine scharfe Kritik der Wasserprivatisierung in der Dritten Welt. WDM hat schon im letzten Jahr ein Paper zur Kritik der britischen Politik der Wasserprivatisierung publiziert.

Rezension Private Kriegsdienstleister

Jean-Paul Raabe schreibt über P.W. (Peter Warren) Singers „Die Kriegs-AGs. Über den Aufstieg der privaten Militärfirmen“:

Singer erschließt erstmalig ein Thema, das wir vor Jahren noch für Fiktion gehalten hätten, das aber pure Realität geworden ist: Die geschäftlichen Aktivitäten von etwa 100 weltweit operierenden Militärfirmen (»privatized military firms« = PMF), die im lukrativ bezahlten Auftrag von Regierungen Kriege vorbereiten und durchführen, die jedes x-beliebige Kriegsgerät besorgen können, Widerstandsarmeen ausbilden, Regierungsumstürze durchführen oder abwehren und – das klingt besonders pervers – die durch ihre kriegerischen Aktivitäten zuvor zerstörten Länder wieder aufbauen.
Die privaten Militärfirmen gehören zur größten Wachstumsbranche mit derzeit über 100 Milliarden Euro Gesamtumsatz, deren Umsätze sich von Jahr zu Jahr fast verdoppeln. London ist zur Drehscheibe der PMFs geworden, die nicht selten in internationale Konzerne eingebunden und teilweise börsennotiert sind. Oder sie agieren als virtuelle Firmen, die in kurzen Zeiträumen hohe Profite erwirtschaften, sich problemlos auflösen und damit jeglicher Verantwortung entziehen können.
Der zweite Irak-Krieg war quasi das coming out der PMFs, die bisher eher im Verborgenen operierten: Niemals zuvor waren so viele private Dienstleister, niemals so viele Söldner (bis zu 25.000) in einen Krieg „verwickelt“. Aber PMFs wie Halliburton, Blackwater oder Brown & Root wurden der Öffentlichkeit erst durch die Bereicherungsvorwürfe oder die Misshandlungsfälle im »Abu-Ghraib-Gefängnis« bekannt.
Um das komplexe Thema verstehen zu können, muss man sich vor allem die finanziellen Dimensionen klar machen, um die es geht. P.W. Singer führt das sehr plastisch vor, wenn er schreibt, dass die Summe von 13 Milliarden US$, die allein »Halliburton« den USA für den zweiten Irakkrieg in Rechnung stellen wird, zweieinhalb mal höher ist, als die Kosten des Golfkrieges von 1991 insgesamt. Klar, dass diese Firmen aus Profitgründen an einer permanenten Gewaltspirale mehr als interessiert sind.
Der Autor stellt die Strukturen der Firmen vor und thematisiert die Störungen der globalen Sicherheit durch profitsüchtige und moralisch zwiespältig agierende PMFs. Er prangert aber auch die „heuchlerische Doppelzüngigkeit“ der Vereinten Nation zu diesem Thema an.
Den rund 380 Seiten seines Buches fügt Singer einen über hundertseitigen Anhang hinzu. In diesem listet er die Internetauftritte von etwa 60 PMFs, legt alle seine Quellen offen und zitiert einen sehr aufschlussreichen Vertrag zwischen dem in Londons Kings Road 535 residierenden Militärdienstleister »Sandline« und der Regierung von Papua-Neuginea (Laufzeit 3 Monate, Pauschalhonorar 36 Millionen US$ Dollar) im vollen Wortlaut.
ZWEITAUSENDEINS, FRANKFURT, 2006, 500 SEITEN, 27,90 €

Bundesrat billigt Privatisierung der Deutschen Flugsicherung

Der Bundesrat hat grünes Licht für die weitere Privatisierung der Deutschen Flugsicherung (DFS) gegeben. Die Länderkammer ließ am Freitag in Berlin die „Neuregelung der Flugsicherung“ passieren. Damit werden die Voraussetzungen für eine Kapitalprivatisierung der bislang bundeseigenen DFS geschaffen. Vorgesehen ist zudem die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung. Mit der Novelle wird das deutsche Recht zugleich an EU-Vorgaben angepasst. Der Bund will 74,9 Prozent seiner Anteile an der DFS an private Anleger verkaufen und sich somit eine Sperrminorität von 25,1 Prozent vorbehalten. Für das Paket interessieren sich mehrere deutsche Unternehmen wie Lufthansa, TUI, LTU, Air Berlin, dba und Fraport. Aber auch Finanzinvestoren gehören zu den potenziellen Käufern. Die Rechte des Bundes sollen zum einen durch die Sperrminorität und zum anderen durch eine nationale Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, abgesichert werden. Diese Behörde soll die Rechts- und Fachaufsicht über die DFS haben und mit Weisungsrecht ausgestattet sein. Private DFS-Gesellschafter können zudem im Verteidigungsfall verpflichtet werden, ihre Geschäftsanteile mit sofortiger Wirkung an den Bund zurückzugeben. Mit dem Gesetz wird es außerdem für Lotsen anderer EU-Länder einfacher, in Deutschland zu arbeiten.

Frankurt am Main: Mieterverein streitet mit US-Investoren

Fortress-Konzern will Mieten seiner Frankfurter Wohnungen deutlich erhöhen / So genannte Sozial-Charta sorgt für Unklarheiten.
Der US-Konzern Fortress besitzt außer in Dresden auch Wohnungen in der Rhein-Main-Region – 2000 allein in der Frankfurter Innenstadt. Möglich wurde dies durch die Privatisierung öffentlichen Wohnraums. Jetzt erleben die Mieter eine Überraschung.

Wer nach der Wortbedeutung geht, muss annehmen, eine Sozial-Charta sei eine Art rechtliche Urkunde, die der Gemeinschaft dient. Doch wenn es um Privatisierung öffentlichen Wohnraums geht, liegt der Fall etwas anders: Besagte Gemeinschaft sind die Mieter einer Siedlung in der Frankfurter Innenstadt, zwischen Fahrgasse und Konstablerwache, deren Wohnungen der Gagfah (Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten) gehören. Vor rund zwei Jahren verkauft die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ihre Gagfah-Mehrheitsbeteiligung an den US-Finanzinvestor Fortress, der somit zum Gagfah-Hauptgesellschafter wird. Nach wie vor ist jedoch die Gagfah in der Rolle des Vermieters. Am 30. September 2004 tritt die „Gagfah-Sozial-Charta“ in Kraft. Sie gilt für alle Mieter, die zu diesem Zeitpunkt in einer Gagfah-eigenen Wohnung leben. In dieser Charta sind neben Kündigungsschutz und Vorkaufsrechten auch „Mieterhöhungsbegrenzungen“ geregelt. In der „vereinfachten“ Version heißt es: „Der gesetzliche Mieterhöhungsspielraum wird für die Mietverhältnisse, die bereits zum 30.9.2004 in Bezug auf Wohnungen der Gagfah bestanden haben, für insgesamt 10 Jahre eingeschränkt. Mieterhöhungen werden im Gesamtdurchschnitt bis zum 30.9.2009 begrenzt auf die jährliche Veränderungen des Verbraucherpreisindexes zuzüglich 1,5 Prozentpunkte).“
Nur in den ausführlichen Charta-Bestimmungen steht der Passus: „Diese Regelung bezieht sich auf den Gesamtdurchschnitt der Mieten, die aufgrund der am 30.9.2004 bestehenden Mietverhältnisse zu zahlen sind. Es ist deshalb möglich, dass in Bezug auf einzelne Wohnungen die Miete stärker erhöht wird.“

Gagfah fordert Mieterhöhungen
Im Oktober 2005 verschickt die Gagfah Mieterhöhungsschreiben an jene Gemeinschaft, darunter die Eheleute S., die seit 1984 in der Siedlung wohnen. Für ihre 80-Quadratmeter-Wohnung in der Fahrgasse zahlen sie bis dato 444 Euro Kaltmiete. Die Gagfah fordert eine Erhöhung um 33,70 Euro – eine Steigerung von 7,59 Prozent, und bezieht sich auf „den derzeit geltenden Mietspiegel“. Den Eheleuten S. erscheint diese Miete als zu hoch und im Widerspruch zu der Sozial-Charta. Sie wenden sich, so wie einige andere Gagfah-Mieter, an den Frankfurter Verein „Mieter helfen Mietern“. Dieser schickt Ende 2005 einen „Widerspruch gegen die Mieterhöhung“ an die Gagfah, verweist auf die Sozial-Charta und gibt an, die Eheleute S. seien mit einer dem entsprechenden Mieterhöhung um 13,88 Euro – rund drei Prozent, berechnet aus Veränderungen des Verbraucherpreisindex‘ plus 1,5 Prozentpunkte – einverstanden. >br>
Jürgen Lutz, Vorstandsmitglied und Berater von „Mieter helfen Mietern“, erläutert: Durch die von der Gagfah geforderten Mieterhöhungen „verlöre die Charta ihre Funktion als Vertrag zu Gunsten Dritter, durch den die Mieter vor deutlichen Mieterhöhungen geschützt sein sollten“. Ein solcher Vertrag berechtigt einen Dritten, in diesem Fall den Mieter, eine vertraglich vereinbarte Leistung – auch per Rechtsweg – zu fordern.
Der Verein führt außerdem an, die Mieterhöhungsschreiben enthielten „keine Darlegung, wie hoch im Bundesdurchschnitt die Gagfah-Mieten in 2005 bereits erhöht worden waren bzw. welche Berechnungen vorliegen, mit denen der Durchschnitt überwacht wird“. Der Verein fordert Einsicht in die Mieterhöhungsbilanzen der Gagfah, Angabe des durchschnittlichen Mieterhöhungs-Prozentsatzes sowie „Mitteilung der Gründe“, die die Gagfah „dazu bewogen haben“, Mieten in der Innenstadt-Siedlung anzuheben. „Erst vor einem Jahr“ war dort die Miete „wegen einer baulichen Sanierungsmaßnahme erhöht worden“.
Im Gespräch erläutert Gagfah-Pressesprecher Peter Kummer gegenüber der FR: „Die Mieterhöhungen bewegen sich sowohl innerhalb des Rahmens der gesetzlichen Vorgaben als auch der Sozial-Charta. Der darin erwähnte ,Gesamtdurchschnitt‘ ergibt sich aus der Summe der Kaltmieten aller Wohnungen, die unter die Charta fallen, sei es in Hamburg, Berlin oder Frankfurt.“ Ob in die Berechnung Faktoren wie Qualität des Wohnumfelds, Wohnungsausstattung oder Infrastruktur mit einfließen, bleibt unklar.

Verein erhält kein „Prüfungsrecht“
In einem Schreiben, das der FR vorliegt, antwortet die Gagfah dem Mieter-Verein, es bestünden für ihn „keine weiteren Prüfungsrechte und schon gar keine Berechtigung, die Zustimmung zur begründeten Mieterhöhung unter Hinweis auf die Sozialcharta zu verweigern“. Weiter heißt es: „Bei dieser gegenüber den Mietern freiwilligen Beschränkung mietrechtlicher Möglichkeiten handelt es sich gerade nicht um eine vertragliche Vereinbarung, auch nicht um einen echten Vertrag zu Gunsten Dritter, der mit einem eigenen Anspruchsrecht des begünstigten Mieters verbunden wäre. Auf die Einhaltung der freiwilligen Mieterhöhungsbeschränkung werden Sie sich verlassen können und müssen.“
Die Eheleute S. zahlen zurzeit 457,88 Euro Kaltmiete, exakt den Betrag, den sie und der Mieter-Verein für angemessen halten. Die Gagfah hat ihnen eine Frist bis 17. März 2006 gewährt, ansonsten müssten sie damit rechnen, dass die Gagfah „auf Erteilung der Zustimmung“ zur Mieterhöhung klage.
Ist eine Sozial-Charta nun eine rechtlich bindende Vereinbarung oder eine freiwillige Selbstverpflichtung, aus der „Dritte“ jedoch keine Rechte ableiten können? Gagfah-Sprecher Peter Kummer lässt Spielraum für Interpretationen: „Der Kündigungsschutz für langjährige Gagfah-Mieter ist in die Mietverträge mit aufgenommen worden“, aber „natürlich“ seien alle anderen Charta-Punkte „ebenso bindend“.

Tanja Kokoska, Frankfurter Rundschau, 16.05.2006

Essen: Demo gegen Immeo-Privatisierung

Gegen die Wohnungsprivatisierung durch den Finanzinvestor Immeo (ehemals ThyssenKrupp-Immobilien) demonstrieren betroffenen Essener Mieter am 18. Mai. Die Mieter treffen sich um 17 Uhr an der Gesamtschule Holsterhausen, um der dort tagenden Bezirksvertretung eine Petition zu überreichen. Von dort aus ziehen die Mieter durch Frohnhausen und Altendorf zur Immeo-Zentrale an der Altendorfstraße, um dort einen von den Mietern unterzeichneten Forderungskatalog abzugeben.

Die Privatisierungsmethoden in ehemaligen Krupp-Arbeitersiedlungen in Essen und Mülheim haben zu einer großen Beunruhigung der dortigen Mieterinnen und Mieter geführt. Es gab bereits mehrere Mieterversammlungen mit mehr als 200 TeilnehmerInnen. Die Essener Siedlungsinitiativen haben inzwischen eine Koordinierungsgruppe gebildet. Die Demonstration wurde bei der letzten Mieterversammlung von 250 Mietern beschlossen. Dort wurde auch ein Forderungskatalog verabschiedet, für den fleißig Unterschriften gesammelt werden.
Die Essener Immeo-Mieter fordern u.a.:
– ein lebenslanges Wohnrecht ohne Altersbegrenzung bei bestehenden Mietverhältnissen,
– 10jährige Kündigungsperrfrist für alle bei Weiterverkäufen,
– Senkung der Mieten auf den Mietspiegelwert und Instandsetzungen,
– Erhalt des Siedlungsbildes und Einhaltung des Denkmalschutzes,
– Zeitnahe Information der Mieter.

ThyssenKrupp hatte seinen umfangreichen Werkwohnungsbesitz 2004 ohne jeden Schutz für Mieter und Beschäftigte an ein Konsortium der US-Großbank Morgan Stanley und Sparkassen verkauft. In diesem Zusammenhang wurden offensichtlich auch Belegrechte aufgegeben.

Knut Unger, Mieterforum Ruhr
Mehr Informationen: http://www.mieterforum-ruhr.de/de/aktion/aktionen/index.php/art_00000609 

Gegner des Wohnungsverkaufs machen in Freiburg mobil

Freiburg In dieser Woche beginnt die Sammlung von Unterschriften gegen den vom grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon angekündigten Verkauf des gesamten Wohnungsbestandes in Freiburg. Zehn Prozent der Wahlberechtigten müssen zustimmen, damit das Plebiszit überhaupt stattfinden kann.
Erst glaubten viele an einen Aprilscherz, doch Salomon, der einzige grüne Großstadtbürgermeister, meinte es ernst, als er am 1. des vorigen Monats bekannt gab, den kompletten Bestand von rund 9000 städtischen Wohnungen zu veräußern. Die Freiburger Stadtspitze erwartet sich davon Einnahmen von mindestens einer halben Milliarde Euro, womit sie nicht nur das Haushaltsdefizit, sondern alle Schulden in Höhe von rund 400 Millionen Euro tilgen könnte. Die Verwaltung hat ihren Plan vorige Woche den Fraktionen des Gemeinderates vorgelegt und erklärt, es gäbe keine andere Lösung, um Schulen und andere Einrichtungen sanieren zu können.

Soziale Schieflage befürchtet

Gegen den Wohnungsverkauf haben sich bislang die SPD und die linken „Unabhängigen Listen“ im Gemeinderat ausgesprochen, weil sie soziale Schieflagen und ein noch höher steigendes Mietniveau befürchten, wenn die Stadt alle wohnungspolitischen Instrumente aus der Hand gibt. Die gleich starken Fraktionen von CDU und Grünen, die die Ratsmehrheit bilden, haben sich noch nicht endgültig festgelegt, doch die Parteispitzen signalisierten bereits Unterstützung für Salomons Verkaufskurs.

Sozialverbände, der Mieterbund, die CDU-Sozialausschüsse, Teile der Freien Wähler, Kirchenvertreter, die grüne Jugend und die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae sind gegen den Komplettverkauf. Der Ortschaftsrat des Stadtteiles Kappel hat einstimmig gegen den Verkauf votiert, und auf der Mai-Kundgebung des DGB in Freiburg musste Salomon beim Grußwort gegen ein mächtiges Pfeifkonzert anreden.

Eine neu gegründete Initiative „Wohnen ist Menschenrecht“ will diese Woche mit der Sammlung von Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen den Verkauf beginnen. Ein solches Plebiszit ist nach der baden-württembergischen Gemeindeordnung möglich, wenn mindestens ein Zehntel der Wahlberechtigten zustimmt – das wären in Freiburg 14 000 Unterschriften. Beim dann folgenden Urnengang müssten mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen, damit das Votum Wirkung erzielt. Eine einfache Mehrheit würde dann genügen, um den Deal platzen zu lassen. Noch keines der bislang drei Bürgerbegehren erreichte in Freiburg sein Ziel, in zwei Fällen ignorierte der Gemeinderat die nicht bindende Abstimmung, weil das Quorum verfehlt wurde.

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens sind jedoch optimistisch, die Abstimmung zu gewinnen. „Die Empörung ist gerade jetzt groß“, erklärt SPD-Kreisvorsitzender und Stadtrat Walter Krögner.

Der Gemeinderat soll nach dem Willen der Stadtspitze am 4. Juli über den Wohnungsverkauf befinden.
Heinz Siebold, in Frankfurter Rundschau, 10.Mai.2006, Seite 9

US-Bewegungs-Netzwerk kurz vorgestellt: "Reclaim the Commons"

Ursprünglich entstanden 2004 als Gegenmobilisierung gegen die jährliche Bio-Tech-Tagung der Biotechnology Industry Organization (BIO), ist Reclaim the Commons mittlerweile zu einer Bewegung in den USA geworden, die selbst Akzente setzt und auch weiterhin Mobilisierung gegen die Gipfel der Industrielobbies und der G-8 betreibt. Einzelheiten dazu in der Selbstdarstellung von Reclaim the Commons auf deren Homepage.

Monsanto vs. Bauern

Monsanto sich auch in Nordamerika verstärkt Feinde schafft, weil es zu immer mehr gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Monsanto und Bauern kommt (http://www.abl-ev.de/gentechnik/pdf/MonsantogegenBauernK.pdf). Zum einen entstehen diese Streitigkeiten durch die Knebelverträge über den Gebrauch von genmanipuliertem Saatgut, die die Bauern unterschreiben müssen. Zum anderen verfolgt Monsanto auch konventionelle Bauern, deren Felder mit genmanipuliertem Pollen kontaminiert wurden. Monsantos Vorwurf lautet zynischerweise, sie haben ilegalerweise „Monsantosaatgut“ angebaut. Der bekannteste Fall hier ist Percy Schmeiser s.z.B.: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17492/1.html

Gute NGO kurz vorgestellt: Grain

Grain ist eine Organisation mit einer guten Seite für die globale Problematik von Agro-Gentech (engl u. spanisch). Es gibt ein Feature Freedom from IPR. Aus der Selbstdarstellung:

GRAIN is an international non-governmental organisation which promotes the sustainable management and use of agricultural biodiversity based on people’s control over genetic resources and local knowledge.

Veranstaltung am 9.5.06 in Berlin

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und das Gen-ethische Netzwerk laden ein:
Gentech-Anbau in Brandenburg – Was droht? Erfahrungen aus Kanada – aktuelle Situation in Brandenburg
mit Percy Schmeiser (kanadischer Landwirt, in englischer Sprache mit Übersetzung) und Nora Mannhardt (Aktionsbündnis gentechnikfreies Berlin/Brandenburg)
am Dienstag, 9.5.2006 um 19:00 Uhr
im „Umweltforum Berlin“ (Alte Mälzerei)
10249 Berlin-Mitte, Friedensstrasse 91. ( http://www.umweltforum-berlin.de )

Percy Schmeiser spricht in Englisch, die Veranstaltung wird übersetzt.

Aus dem Einladungstext

Brandenburg ist in Deutschland das Land, in dem die transgenen Saaten ausgebracht werden. Für dieses Jahr sind etwa 800 Hektar (Deutschland ca. 1.700 ha) angemeldet. Die Situation in Brandenburg wird Nora Mannhardt vom Aktionsbündnis gentechnikfreies Berlin und Brandenburg darstellen. Was sind möglicher Gründe, wie organisiert sich der Widerstand?

Die Koexistenz konventioneller, ökologischer und gentechnisch veränderter Nutzpflanzen ist nicht möglich. Dies zeigen die Erfahrungen mit Kontaminationen in Kanada. Dort wird es vermutlich niemals mehr möglich sein, gentechnikfrei zu produzieren. Einige der dortigen Landwirte hat dies schon an den Rand des Ruins getrieben.

Percy Schmeiser, kanadischer Rapsbauer, berichtet über 10 Jahre Gentech-Anbau in Kanada und zeigt die Praktiken der Gentechnik-Konzerne auf. Schmeisser hatte den Gentechnik-Konzern Monsanto wegen Kontamination seiner Felder verklagt. Weil die kanadische Regierung und die Justiz voll auf der Seite der Gentechnik-Konzerne stehen, wurde in seinem und in vielen anderen Fällen gegen geltendes Recht und zugunsten der Industrie entschieden.

Der Fall verdeutlicht auch die Zusammenhänge zwischen Koexistenz, Kontamination und den so genannten Schutzrechten an geistigem Eigentum, das heißt der Patentierung – das heißt der Privatisierung von Saatgut.

Kanadische Farmer bringen Gentechnik vor UN-Menschenrechtsausschuss: Nun erhebt der kanadische Farmer Percy Schmeiser vor dem UN-Ausschuss für Menschenrechte in Genf Klage gegen die kanadische Regierung wegen Menschenrechtsverletzungen durch die Gentechnik in der kanadischen Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion (Stichtag 1. Mai 2006).

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*In Kanada ist der Zug gentechnikfreier Produktion bereits abgefahren – aber bei uns ist es noch nicht zu spät!*
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Hier ein Interview mit Percy Schmeiser aus der Mitgliederzeitschrift Umweltnachrichten (Dez. 2005) des Umweltinstitutes München. Das Interview führte Andreas Bauer.

Interview mit Landwirt Percy Schmeiser: „Eine ökonomische Katastrophe”

Im August 1998 verklagte der Gentechnik-Konzern Monsanto den kanadischen Bauer Percy Schmeiser, gentechnisch verändertes patentiertes Raps-Saatgut widerrechtlich angebaut zu haben: Schmeisers konventionelle und die Bio-Felder seiner Frau waren von genverändertem Saatgut verunreinigt. Zwei Gerichte verurteilten ihn zu einem Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro. Erst das oberste kanadische Bundesgericht stoppte den Konzern im Jahr 2004: Schmeiser wurde von Schadensersatzforderungen an den Konzern freigesprochen. Doch gleichzeitig befand das Gericht, dass Monsanto grundsätzlich im Recht sei und die Patentansprüche des Konzerns auch für kontaminierte Äcker gälten. 2005 hat Percy Schmeiser Gegenklage gegen Monsanto eingereicht, wegen Umweltverschmutzung und Zerstörung von Schmeisers gentechnikfreier Saatgutzüchtung.

Umweltinstitut München e.V. (UIM): Mr. Schmeiser, wie sind Ihre derzeitigen Beziehungen zu Monsanto?
Schmeiser: Ziemlich angespannt. Monsanto versuchte während der letzten Jahre, mich als Person zu diskreditieren, sowohl in den Medien als auch in meiner persönlichen Umgebung. Und das macht Monsanto nach wie vor. Zum anderen versuchen sie jetzt, mich mit Hilfe einer Knebel-Anordnung, der so genannten „Gag-Order“, ruhig zu stellen. Das ist eine Art gerichtlich verhängtes Redeverbot. Dadurch wäre mir das Recht genommen, über Monsanto zu sprechen. Dabei ist das einzige, was ich tue, darüber zu berichten, dass Monsanto mein gesamtes Ackerland kontaminiert hat.

UIM: Dagegen haben Sie jetzt Klage eingereicht.
Schmeiser: Ja, aber leider agiert Monsanto jetzt bösartiger als je zuvor. Der Grund ist meiner Meinung nach, dass der Konzern allein im letzten Quartal 125 Millionen US-Dollar Verlust gemacht hat. Und zwar ausschließlich deshalb, weil es sich, wie ein Journalist geschrieben hat, um eines der meistgehassten Unternehmen der Welt handelt, ein Unternehmen, das zentral an der Eliminierung der Rechte der Bäuerinnen und Bauern, und der Redefreiheit auf der ganzen Welt beteiligt ist. Letztes Jahr wurde Monsanto für die Dauer von zwei Jahren die Geschäftsausübung in Indonesien verboten, weil der Konzern für eine schnelle Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen die Behörden bestochen hatte. Auch in anderen Ländern gab es Korruption im Zusammenhang mit der Vermarktung von Monsantos Gen-Pflanzen.

UIM: Weswegen genau klagen Sie Monsanto an?
Schmeiser: Die erste Klage bezieht sich auf die Haftung für die Verunreinigung meiner Felder mit Genraps in den Jahren 1997 und 1998. Ich fordere Schadensersatz für die Zerstörung meines selbstentwickelten Raps-Saatguts, in dem 50 Jahre Forschung und Entwicklung stecken.
Vor zwei Monaten stellte ich zudem eine erneute Kontamination meiner Felder fest. Ich versuchte, Monsanto dazu zu bewegen, die Genrapspflanzen von meinem Feld zu entfernen. Monsanto war dazu nur unter der Bedingung bereit, dass ich einen so genannten „Release“ -Vertrag unterzeichne. Damit hätte ich allerdings für alle Zeiten Grundrechte, wie das auf freie Meinungsäußerung, an Monsanto verkauft. Der Vertrag hätte besagt, dass ich Monsanto nie wieder verklagen darf. Zweitens hätte ich auch alle bereits eingereichten Klagen gegen Monsanto zurückziehen müssen. Drittens hätte ich Zeit meines Lebens mit keinem Menschen mehr über Monsanto sprechen dürfen.
Zusätzlich hätte mir der Vertrag verboten, Raps und verwandte Arten, also zum Beispiel Senf, anzubauen. Denn Monsanto weiß, dass es dadurch erneut zu Kontaminationen meiner Felder durch gentechnisch veränderte Rapspollen kommen würde, der auch in verwandte Arten, wie eben Senf, auskreuzen kann. Kurzum, ich hätte sämtliche demokratische Rechte an der Eingangstür von Monsanto abgegeben. Ich bin Besitzer des Landes, ich zahle Steuern dafür, und alle Rechte dafür sollen an Monsanto gehen?
Wenn ich nach St. Louis, zur Konzernzentrale von Monsanto, fahren würde, um ihre Freilandversuche zu kontaminieren, und danach die Rechte auf diese Pflanzen reklamieren würde, hätte ich nach spätestens 24 Stunden ein Verfahren am Hals, das damit enden würde, dass man mich bis ans Ende meiner Tage einsperren würde.
Das Problem ist nach wie vor, dass die Menschen nicht darüber informiert sind, was passiert. In Kanada kann aufgrund der gentechnischen Verunreinigungen keine biologische Soja und kein biologischer Raps mehr angebaut werden. Das Grundrecht der Wahlfreiheit der Bauern ist zerstört.

UIM: Welche ökonomischen Auswirkungen hat der Anbau von Genpflanzen in Kanada?
Schmeiser: Der Anbau ist eine ökonomische Katastrophe. Viele Länder kaufen keine kanadischen Produkte mehr, die in irgendeinem Zusammenhang mit Raps oder Soja stehen könnten. Das betrifft neben den Bauern natürlich auch die nachgelagerten Industrien, also die Lebensmittelverarbeitung. Darüber hinaus kommt es zu einer Art Dominoeffekt: Auch die Nachfrage nach anderem Getreide aus Kanada ist zurückgegangen. Ganz konkret passiert folgendes: Die Rapserträge der kanadischen Bauern sind zurückgegangen, die Erträge sind von geringerer Qualität, für die Produktion müssen mehr Pestizide eingesetzt werden und das Einkommen der Bauern ist stark zurückgegangen. Durch die flächendeckende Kontamination ist auch die Wahlfreiheit der Bauern verloren.

UIM: Wie sieht es mit der sozialen Struktur in den ländlichen Gebieten aus? Hat sich auch diese durch den Anbau von GVO verändert?
Schmeiser: Auch das soziale Gefüge ist entgleist. Durch die Lizenzverträge mit Monsanto verlieren die Bauern das Grundrecht auf Redefreiheit. Die gesetzliche Lage verstärkt ihre Rechtlosigkeit noch zusätzlich. Sie müssen sehen, dass ein Bauer in Kanada in dem Moment schuldig gesprochen werden kann, wenn Monsantos Genraps auf seinem Feld gefunden wird. In meinem Fall hat das Gericht geurteilt, dass ein Bauer verpflichtet ist zu wissen, ob seine Ernte, sein Saatgut, oder sein Land mit Monsantos Genpflanzen kontaminiert ist. Wenn er nicht gentechnisch verändertes Saatgut aus einem Teil seiner Ernte anbaut, das mit Monsantos Genraps verunreinigt ist, verletzt er damit automatisch Monsantos Patent und kann von dem Konzern verklagt werden. Der einzige Ausweg besteht darin, gleich Monsantos Raps anzubauen. Denn in dem Moment, in dem sich Monsantos Gene auf seinem Feld befinden, kann Monsanto ihn dazu zwingen, seine gesamte Ernte zu vernichten. Wie soll ein Bauer wissen, ob sich Monsantos Raps auf seinem Feld befindet? Die einzige Möglichkeit, die er hat, ist sein Feld mit Roundup zu spritzen: Wenn 98 Prozent seiner Pflanzen sterben, und zwei Prozent überleben, weiß der Bauer, dass zwei von 100 Pflanzen kontaminiert sind. Doch es gibt keinerlei Toleranz. Selbst eine einzige Pflanze würde genügen, um alle Rechte an Monsanto zu verlieren. Das Gericht sprach im Urteil meines Falls davon, dass die „bloße Anwesenheit“ von Monsantos patentierten Genpflanzen auf meinem Acker ausreichen würde, um Monsantos Ansprüche zu rechtfertigen. Der oberste kanadische Gerichtshof urteilte auch, dass es bedeutungslos sei, wie es zu der Verunreinigung der Felder kommt.

UIM: Hat sich auch das Verhältnis der Landwirte untereinander verändert?
Schmeiser: Natürlich. Es ist ein starkes Misstrauen gegeneinander entstanden. Der Grund ist, dass Monsanto Bauern oder andere Leute dafür belohnt, wenn sie z.B. einen Nachbarn anzeigen. Zudem besitzt Monsanto eigene „Polizei“-Kräfte, welche die Menschen auf dem Land aushorchen. Ich erzähle ihnen ein Beispiel aus meinem Dorf: An Tankstellen in Kanada werden auch Pestizide verkauft. Monsantos Leute gingen also zu einer Tankstelle in meinem Dorf und sagten dem Besitzer: „Sprich mit den Bauern, frag sie ob sie Raps gepflanzt haben. Falls sie Raps anbauen, frag sie, wie viele Hektar. Dann gib uns diese Informationen weiter.“ Im Gegenzug bekam der Tankstellenbesitzer gute Konditionen und Rabatte beim Einkauf der Pestizide von Monsanto. Das ist ein Weg, wie Monsanto an Informationen kommt. Seit diese Geschichte bei mir im Dorf herauskam, tanke ich natürlich woanders.

UIM: Können Sie noch von weiteren Fällen berichten?
Schmeiser: Es gibt viele bekannte Fälle. Einem befreundeten Geschäftsmann, der auch Bauer ist, passierte folgendes: Er baute 200 acre (80 ha) von Monsantos Genraps an und schloss mit dem Unternehmen einen so genannten Technologie-Vertrag über diese Fläche ab. Dieser sieht vor, dass ein Bauer pro acre 15 kanadische Dollar Patentgebühren an Monsanto zahlen muss. Bei seiner Versicherung waren die entsprechenden Flächen jedoch mit 208 acre veranschlagt. Monsantos Spitzel müssen auf irgendeine Weise Zugang zu diesen Unterlagen bekommen haben. Es fehlten also acht acre, und laut dem Technologie-Vertrag hatte er damit eine Lizenzgebühr von 15 Dollar pro acre unterschlagen, was einem „Gesamtschaden“ von 120 Dollar entspricht. Monsanto wollte jedoch eine Strafgebühr von 200 Dollar pro acre kassieren, die mein Bekannter natürlich nicht zahlen konnte. Monsanto verlangte nun für einen Verzicht auf ein Strafverfahren, dass mein Bekannter ebenfalls Spitzeldienste übernehmen sollte und Nachbarn melden, die von Kontaminationen wussten, diese aber aus Angst vor den finanziellen Forderungen Monsantos nicht melden wollten. Er ist darauf eingegangen, hat aber nie jemanden gemeldet.
Ich erzähle Ihnen noch von einem dritten Fall: Wenn Sie in Kanada Getreide verkaufen, müssen Sie Aufzeichnungen darüber in einem Buch dokumentieren. Dieses Buch ist Privatbesitz des Bauern. Da diese Aufzeichnungen von großer Wichtigkeit sind, hinterlegen es viele Bauern im Safe des örtlichen Getreidehändlers. Monsanto lädt nun diese Getreidehändler zu Wochendausflügen oder zum Essen ein und kommt so schließ-lich in den Besitz der Aufzeichnungen. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was diese Vorfälle mit dem sozialen Netz auf dem Land anrichten.

UIM: Der Presse kann man entnehmen, dass sich kanadische Bauern, vor allem Biobauern inzwischen wehren. Sie haben Genkonzerne wie Monsanto und Bayer verklagt. Wie beurteilen Sie die Aussichten, dass die Konzerne schuldig gesprochen werden?
Schmeiser: Die Vereinigung der Biobauern aus Saskatchewan (das Saskatchewan Organic Directorate) hat Monsanto und Bayer wegen der Kontaminationen auf Schadensersatz verklagt. Die Klage bezieht sich auf die Haftung für entstandene ökonomische Schäden, vor allem den Verlust von Exportmöglichkeiten, da kein biologischer Raps mehr angebaut werden kann. In erster Instanz haben die Bauern den Prozess verloren. Im Moment droht er bereits an der Frage zu scheitern, ob die Bio-Bauern als Vereinigung überhaupt das Recht haben, diese Klage einzureichen. Monsanto versucht den Prozess zu verschleppen. Schon jetzt hat er die Bio-Bauern 300.000 Dollar gekostet. Allein für die Frage nach der Zulässigkeit der Klage sind drei Jahre ins Land gegangen.

UIM: Welche Rolle spielt eigentlich die kanadische Regierung?
Schmeiser: Die kanadische Regierung unterstützt die Gentechnikindustrie bedingungslos. Monsanto arbeitet mit den zuständigen Behörden, z.B. der Lebensmittel- oder der Umweltbehörde, Hand in Hand. Ein Beispiel vom April 2004 mag Ihnen zeigen, wie eng die Verbindung ist. Monsanto stand damals kurz vor der Zulassung von gentechnisch verändertem Weizen. Dann kam heraus, dass die Regierung mit Monsanto ein Abkommen geschlossen hatte: In dem Vertrag stand, dass die Regierung für jedes Kilo Genweizen einen bestimmten Prozentsatz des Gewinns erhalten sollte.
Derzeit stehen wir in Kanada auch vor einer Überarbeitung der Saatgut-Gesetzgebung, dem Seed Sector Review. Die Vorschläge der Gentechnikindustrie für dieses Gesetz wurden bislang nur noch nicht umgesetzt, weil Wahlen bevorstanden. Mit diesem Gesetz würde die Saatgutindustrie die totale Kontrolle über die Landwirtschaft übernehmen. Denn der zentrale Punkt des Gesetzes ist, dass es den Nachbau von gekauftem Saatgut schlichtweg verbietet. Dieser Passus bezieht sich nicht nur auf Getreide, sondern auch auf Gartenblumen oder Bäume. Damit würden nicht nur Bauern, sondern auch Gärtner und Forstwirte total entrechtet. Die Industrie versucht, dieses Gesetz ohne öffentliches Aufsehen durchzubekommen. Die Situation ist sehr ernst.
Und dennoch: Seit einigen Jahren stockt die Zulassung neuer Gentechnikpflanzen. Bis heute gibt es nur sehr wenige kommerzialisierte Arten, vor allem Raps, Mais, Soja und Baumwolle. Was die Einführung weiterer GVO verhindert hat, war nicht die Umweltproblematik und nicht die gesundheitlichen Effekte, sondern der grandiose ökonomische Misserfolg. Die Bauern merken langsam, dass sie betrogen wurden.

UIM: Warum wächst die Anbaufläche in Kanada dann nach wie vor? Warum bauen die Bauern überhaupt noch gentechnisch verändertes Saatgut an?
Schmeiser: Viele haben Angst. Sie wissen, dass sie von Monsanto jederzeit verklagt werden können, denn ihre Felder sind genauso kontaminiert wie meine. Der einzige Ausweg sich vor Klagen zu schützen ist gleich Monsantos Genpflanzen anzubauen.

Das Interview führte unser Mitarbeiter Andreas Bauer.
Erschienen in unserer Mitgliederzeitschrift Umweltnachrichten, Ausgabe 102 / Dez. 2005

„Was damit geschaffen wird, ist eine Kultur der Angst“
Am 28. Oktober 2005 hielt Percy Schmeiser in Zürich den Vortrag, denn Sie hier ( http://www.umweltinstitut.org/download/vortrag_schmeiser_zuerich_okt2005.pdf ) als PDF-Datei herunterladen können.

Technologievertrag in Originalfassung und übersetzt als PDF-Datei zum Herunterladen ( http://www.umweltinstitut.org/download/technologievertrag_monsanto.pdf )